Dienstag, 14. Dezember 2010

Rekonvaleszenz - Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht


Prolog
Ich bin 13 Jahre alt. Ich habe eine beste Freundin. Wir teilen alles. Ich gebe ihr ein Büchlein, in dem meine Gefühlswelt  von mir seziert wurde. Ich entsinne mich, daß ich eine Zeichnung eingefügt hatte: ich hinter Gittern.
Ich bin vielleicht 15 Jahre. Ich wiege um die 80kg bei einer Grüße von 1,70 m. Meine Freunde und ich versuchen durch einen vollen Zug zu gelangen. Es ist Karneval. Beim Versuch an einer Gruppe Jugendlicher entlang zu kommen, werde ich als „fettes Schwein“ bezeichnet.
Ich bin ca. 18 Jahre alt. Seit einem Jahr verletzte ich mich wieder selber.
Ich bin immer noch 18 Jahre alt. Meine Mutter hat im betrunkenen Kopf versucht, mich zu würgen und dabei gesagt, daß sie mich umbringen würde.
Ich bin 23 Jahre alt und habe meinen ersten Freund. Nachdem wir miteinander das erste Mal geschlafen haben, habe ich Schluß gemacht, weil ich ihn liebe.
Ich bin 24 Jahre alt, ich mache eine Therapie. Ich bin in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Ich bin 25 Jahre alt. Mein Leben entgleitet mir. Ich breche Kontakte zu alten Freunden ohne Begründung ab. Mit meinen Eltern kommuniziere ich über Briefe. Weihnachten verbringe ich allein und ich bin das erste Mal glücklich.
Ich bin 26 Jahre alt. Ich versuche mir mit 90 Tabletten das Leben zu nehmen. Nach dem gescheiterten Suizidversuch, höre ich mit dem Selbstverletzen auf.

Rekonvaleszenz – Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht
Auch Arthur Schoppenhauer war ein Pessimist. Für ihn war Leben eine „mißliche Sache“, doch gerade aus diesem Grunde erschien es ihm ratsam darüber nachzudenken. In meiner Jugend blieb mir Schoppenhauer erspart. Leben war eine Selbstverständlichkeit. Selbst als die Pubertät es nicht sonderlich gut mit mir meinte. Der größte Feind neben der Gesellschaft und den eigenen Eltern war man selber. Pickel und Überfettung lieferten im Kampf gegen mich wertvolle Munition, um das Selbstwertgefühl für unbestimmte Zeit in Schutt und Asche zu legen. Ich fing an Punkmusik zu hören. Oder, so rede ich es mir heute zumindest gerne ein, hörte diese ausschließlich.  Manchmal war ich nicht ganz sicher, ob nicht die Texte, die ich laß, die ich abschrieb und mitsang nicht Schuld sind, daß ich mein Leben aus der pessimistischen Perspektive betrachtete. Nick Hornby sollte später  in seinem Debut „High Fidelity“ den Erzähler über jenen unsäglichen Einfluß, den Popmusik auf uns haben kann, spekulieren lassen. Aus diesem Grund kann ich sagen, daß ich froh bin, daß ich erst so spät auf Joy Division gestoßen bin – denn „i’ve got the spirit but lose the feeling“. Doch selbst wenn ich damals immer mal wieder über den Suizid phantasierte, zweifelte ich nicht daran, daß ich lebte. Was nicht heißen soll, daß ich heute daran zweifeln würde (nur manchmal verwerfe ich schnell den rettenden Gedanken, daß Leben einen Sinn hat, auf den ich mich mit vorgetäuschtem Optimismus stürze und öffne so der Panik Hirn und Herz). Damals war der Tod nur ein reizvolles Ablenken von der erdrückenden Last des Tages.
Ich habe mein Gedächtnis  extern ausgelagert. Mit Füller und Papier gegen das Vergessen.   Der erste Kuß, notiert. Festgehalten als betrunkene Hymne auf die Jugend. Das erste Mal Sex, ebenfalls verewigt als schamvolles Debakel, nicht nur auf dem Papier. Während ich also durch meine gesammelten Erinnerungen blättere, sehe ich deutlich, worauf das alles hinaus laufen mußte. Doch was ist schon deutlich, wenn man im Jetzt lebt? Sinn entsteht erst, wenn die Vergangenheit reflektiert wird, wenn Verkettungen von Zufälligkeiten kausale Grausamkeit unterstellt wird. Doch es mag verwundern, die Tage, an dem ich versuchte, mich zu suizidieren (von lateinisch sui caedere) und mit der mißlungenen Konsequenz leben mußte, wurden nicht festgehalten. Als ob ich vergessen wollte.  Von dem Tag selber ist mir einzig eine Notiz erhalten geblieben.  Und höchst wahrscheinlich der ein oder andere Aktenvermerk.
Wittgenstein hatte wohl nicht unrecht, wenn er schrieb, daß die Welt der Glücklichen eine andere sei, als die der Unglücklichen. Vergleichbar mit Tolstois berühmten Satz: „Alle glücklichen Familien  ähneln einander, jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.“  Meine eigene Art unglücklich zu sein.
Der Moment des Absprungs, so bezeichnet ihn Paul Améry,  unterliegt einer eigenen Logik, die Lebende nicht nachvollziehen können.  Und das obwohl der Tod jeden Tag in uns wächst (übrigens auch Améry, der nicht unrecht hat, denn wir müssen damit leben, daß wir sterben werden. Hier mag Epikurs Rat zwar nützlich sein, daß  der Tod uns nichts angeht, da solange wir sind, er nicht ist und wenn er uns dann doch ereilen sollte, wir nicht mehr sind. Aber ihm unterläuft der Fehler, daß der Mensch ein Wesen ist, das erinnert und so erinnern wir uns an den Tod unserer Freunde. Fun never ends until you bury a friend. Die Lücke, die jemand läßt, wird gefüllt mit der eigenen Hilflosigkeit, aber auch mit dem temporären Vergessen. Denn nur durch das temporäre Vergessen können wir Leben. Mit den Toten kann man hingegen nicht leben.) Mein Moment des Absprungs war eine Nacht, in der ich ziellos meine Tabletten in mich hineinstopfte und darauf hoffte, daß ich sanft entschlafen würde. Es gab keinen Anlaß, der Tag war so schrecklich oder so schön, wie jeder andere zuvor. Ich war es nur satt. Ich wollte heraus aus diesem Einerlei. Ich wollte nicht allein sein.
Allein.
 Eventuell kennt jemand Paul Coelho, seines Zeichens schrecklichster Bestseller-Autor. Doch die Erfahrung seiner Roman-Figur Veronika kann ich nur bestätigen, der Versuch sich mit Tabletten zu töten, ist unangenehm. Man stirbt nicht auf die sanfte Art und das Fegefeuer, je nach Religion, wartet auch nicht auf einen.  Der Körper verkrampft sich, das Herz beginnt zu rasen, man kotzt und kotzt, bricht zusammen und wird gefunden. Eventuell in dieser Reihenfolge.  Kommt in ein Krankenhaus und wartet darauf, daß man stirbt.  Aber man will jetzt doch nicht mehr. Zu anstrengend. Zu anders, als man es sich vorgestellt hat. Man will nicht einschlafen, denn wer weiß, vielleicht wacht man nicht mehr auf? Atmet man noch? Ist da nicht der weiße Tunnel? Sind dort nicht die Eltern, die einen anschreien, warum machst du das? Lebst du noch? Stirbst du schon? Du hast doch nichts gesehen, du bist doch viel zu jung. Als ob mit dem überstandenen Suizidversuch die Chance auf ein besseres Leben winkt, mir alle Türen offen stehen würden. Aber zumindest die Chance, worauf auch immer. Eben die Schönheit der Chance.
Natürlich ist dies keine Geschichte ohne Happy End, denn ich sitze hier und schreibe das auf, bin also nicht in dieser Nacht gestorben. Ich weiß nicht, wie nah ich am Tod dran war. Näher als gewöhnlich? Vielleicht.  Ich habe eine Nacht auf einer Intensivstation verbracht. Den folgenden Tag mußte ich entgiften. Ich habe Stimmen gehört, die nicht da waren.. Ich habe Dinge gesehen, die nicht real waren. Meine Phantasien bewegten sich irgendwo zwischen „Fear and Loathing in Las Vegas“, „Einer flog über das Kucksnest“ und „Twilight Zone“.  Das Kreuz auf meinem Zimmer war für mich ein sicheres Zeichen dafür, daß ich auf der Sterbestation lag.   Das Nachthemd, das ich trug, glich in seiner Übergröße einem Totenhemd. Ich schrie die Pflegerin an: „Hier sind überall alte Menschen. Ich werde sterben.“ Wahnvorstellungen verleiten einen zu irrationalem Handeln. Am nächsten Tag wurde ich in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Eine Nacht habe ich im Beobachtungsraum gelegen. Ich konnte nicht schlafen. Eine Mitpatienten sagte zu mir: „Zeig Dich kooperativ, sonst haben die dich gleich ganz genau im Auge.“   Ich habe mich schrecklich gefühlt, aber ich wußte, daß dieser Tiefpunkt auch ein Wendepunkt sein würde.
 Ich glaube, ich weiß,  was es bedeutet, daß man stirbt. Und ich habe Angst vorm Sterben. Nicht vor dem Tod, denn ich bin überzeugter Atheist. Vor nichts braucht man sich also nicht zu fürchten. Aber mit dem Sterben ist es anders. Manchmal schrecke ich nachts auf und japse nach Luft, ein immer wieder kehrender Alptraum, ich hätte vergessen zu atmen, die Atmung wäre langsamer geworden und ich würde gleich sterben. Deswegen rasch eilige Atemzüge, wer nicht schläft, der kann ja auch bekanntlich nicht sterben (oder war es lieben?), nicht wahr Schlafes Bruder? Der Herzschlag wird gefühlt, der Puls rast. Das Licht wird angemacht und man lebt durch die Nacht. Schlafstörungen als Folge eines mißlungenen Ausstiegsversuchs.
Ich versuche darüber zu schreiben, aus welchen Gründen ich 90 Tabletten nahm, an einem Abend, wie jedem anderen in deinem und meinem Leben.  Ich könnte über biologische Faktoren spekulieren, die mich anfällig für psychische Krankheiten machen. Ich könnte auf die mißratene Kindheit verweisen, all die kleinen Episoden, die sich aneinander reihen und mich zu dem machen, was ich bin.  Doch die Sprache bleibt stumm. Sie transportiert nicht, was ich an diesem Abend  fühlte. Was ich heute noch fühle. Sie beschreibt zwar, bleibt aber trotzdem leer. Sie verschleiert das Motiv, obwohl es so scheint, als ob sie dem Betrachter ein klares Bild liefert. Sie ist ein trompe l’oiel.  Die Kunst wird so zur einzigen Form, sich über den Tod zu verständigen. Denn die Kunst schafft, was die Funktionalität der Sprache verhindert. Sie berührt unmittelbar.

Dying Is an art, like everything else,
 I do it exceptionally well. I do it so it feels like hell. I do it so it feels real
Sylvia Plath

Epilog
Ich bin 30 Jahre alt. Ich bin am Leben gescheitert. Ich möchte etwas über Freundschaft schreiben. Darüber, wie wertvoll, wie einzigartig, wie verletzend, wie belastend Freundschaften sein können. Doch was ich feststelle: daß ich mit mir selber immer noch keine Freundschaft geschlossen habe und mein Selbstbild ständig zwischen Größenwahn und Selbstverlust oszilliert. Ich bin nicht zufrieden, ‚angekommen‘, sondern immer noch auf der Suche. Wenn ich akzeptieren könnte, wer ich bin, wenn ich mich selber mögen könnte, wenn ich mit mir befreundet sein könnte…Ich schaue mich im Spiegel an und erkenne die Person nicht, die mir entgegen blickt. Soll ich das sein?  Diese Wangenknochen, dieser leicht dümmliche Ausdruck.  Der hervorstehende Mund und die ersten Fältchen. Ich möchte dieser Person die Haut abreißen, sie entkleiden, enttarnen. Ich möchte ihr ins Gesicht schlagen, möchte sie bluten sehen, denn sie ist nicht ich. Diese Person hat sich meiner bemächtigt, vor langer Zeit und führt ein parasitäres Eigenleben in meinem Körper. Sie  kann nicht ich sein. Merkt das denn keiner?  Und doch, das bin ich. Zerrissen. Verletzlich. Hilfsbedürftig. Einsam. Immer im Konflikt mit mir selbst, mit meinem Bewußtsein, meinem Ich-Sein.  Ich gebrauche Menschen, um selber etwas fühlen zu können. Sie sind  ein Spiegel, der  reflektiert, wer ich sein könnte. Ich bin ein schlechter Mensch.  Ich bin ein Pessimist. Und damit bin ich in keiner schlechten Gesellschaft.  


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Dies ist eine Neufassung eines Textes, der dieses Jahr im HRVST erschien und im nächsten Jahr noch einmal in einem anderen Zusammenhang erscheinen wird.  Ich möchte mich noch einmal bei Hendrik und Sebastian bedanken, daß sie meinen Text in ihrem wundervollen Buch aufgenommen haben. Das Konzept hinter HRVST ist so simpel, wie wirkungsvoll: ein Thema, dass eine Reihe von unterschiedlichen Menschen eint, die versuchen sich in ihrer Kunst auszudrücken. Demnächst wird der zweite Band erschienen und ich bin sehr gespannt, was die unterschiedlichen Menschen zum Thema "Jugend" beitragen werden. Der erste Band erschien zum Thema "Death", das mich seit geraumer Zeit umtreibt. Auch heute. Gestern ist ein geliebter Mensch von mir gegangen. Ich tue mich schwer mit Wörtern wie "Liebe", wenn ich sie im familiären Kontext benutzen soll. Aber ich erinnere mich so lebhaft an die unterschiedlichsten Episoden, in denen sich ihr Leben und mein Leben überschnitten, kreuzten und ineinander verwebten und wünschte, ich hätte in den letzten Minuten da sein können und ihre Hand halten können und ihr noch einmal sagen können, daß ich sie liebe.

Montag, 13. Dezember 2010

Insomnia Pt. 1 ( " 9,10... never sleep again " )

Insomnia Pt 1

I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left

Feeding memories from 2.54 am to now:
The evening we fucked for the first time.
You were my first man and i was your sixth girl.
Or was i the eigth?

TV news flickered in the back.
Shadows and Bodies melting together
and by god i loved you (whatever that means)
and by god i adored you

You fell asleep before me,
and
I turned myself from the left to the right
to the left to the right
walked from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left


Next morning - before you left me - we fucked again
Through 4 and a half Johnny Cash songs.

You closed the door behind US
as Johny sang his 10th song (Country Trash)
You on the outside,
I lost
with Cash
at the insight.

Through all those episodes of craziness
- loving you for being kind to me
hating you for being nice to me-
what i remember best is the
laugh
            we shared
                                during our fuck .

I'm sorry to say: It wasn't funny at all
- laughter of deperates saying
we lost it all.

And
I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left

Freitag, 5. November 2010

But I don't want to cope - Swallow me whole von Nate Powell (Rezension)

Key Words: Graphic Novels/Family Drama/Schizophrenia-Hallucination

Ich wollte nie Fanpost schreiben. Niemals.

Lieber Nate Powell,

ich las neulich Dein Buch "Swallow me whole" zum zweiten Mal. Und obwohl es kein schönes Leseerlebnis war, keines bei dem man das Buch schließt und sich im Anschluß entspannt mit anderen Leuten trifft, um mit ihnen gemütlich ein Kaffee zu trinken, das Buch auf dem Tisch liegen bleibt und irgendwann in den Bücherschrank einsortiert wird, habe ich es genossen. Denn es hat mich berührt, wie es nur wenige Bücher schaffen. Wenn ich über das Buch spreche, fällt mir spontan das Adjektiv "verstörend" ein. Eine verstörende Lektüre in Bild- und Wortsprache. Eine irritierende dazu. Ich schlage das Buch zu und möchte mit jemanden darüber reden, möchte wissen, was das Gegenüber dazu zu sagen hätte, wie sie das Buch empfunden hat, was er dort gelesen hat. Es ist also auch eine erregende, emotional aufwühlende Lektüre, denn im Anschluß möchte man diese Gespräche führen. Vielleicht nicht sofort, denn erst einmal muß man verdauen, was man gelesen hat, muß seine eigenen Gedanken sortieren und aus der Welt der beiden Stiefgeschwister Ruth und Perry wieder herausfinden. Zu viele Themen streift das Buch, über die man reden könnte.

Zum einen Familienleben. Die kranke Oma, die im Haushalt aufgenommen wird und auf ihren Tod wartet. Belastet das die Kinder nicht? Wie gehen Ruth und Perry mit der ständigen Konfrontation mit der Sterblichkeit um? Gleichzeitig aber auch fehlende Kommunikation zwischen Eltern und den aufwachsenden Teenagern, verdichtet und konzentriet stellt sich die Problematik in einem einzigen Satz dar: "I don't even know Ruthy." Es ist normal, daß Teenager nicht mehr alles mit ihren Eltern teilen, ihre eigene Persönlichkeit in Abgrenzung zu ihren Eltern suchen. Doch die völlige Sprachlosigkeit hat etwas hilfloses. Auch das Ende zeigt, wie wenig die Eltern Ruth mit ihrer Krankheit eigentlich verstanden haben.

Dann das große andere Thema des Comics: Schizophrenie. Hier zeigen sich auch ganz unterschiedliche Aspekte. Beispielsweise die Form der Diagnose bei Ruth bzw. Perry.


Sowohl Perry als auch Ruth leiden an Halluzinationen in Folge ihrer Erkrankung. Bei Perry äußern sich diese so, daß ein Radiergummi in Form eines Zauberers ihm befiehlt zu zeichnen. Er ist kreativ und er schafft einen Output, der gesellschaftlich anerkannt ist. So kommt es, daß der Arzt seine Halluzinationen relativ lapidar, aber verständnisvoll als Folge von Streß diagnostiziert und keine weiteren Interventionen vorsieht. Während Ruthy, die aggressiv reagiert, Insekten sieht und mit diesen auch kommuniziert, sofort die ganze Bandbreite an möglichen Therapievorschlägen aufgebrummt bekommt, u.a.  diverse Psychopharmaka. Und wieder wird in der Familie nicht über die Diagnose geredet. Das Thema wird eigenartig totgeschwiegen. Einzig die kranke Großmutter scheint zu wissen, was passiert. Untereinander reden Ruth und Perry wohl über ihre Krankheit und bilden zunächst auch eine Einheit. Doch im fortschreitenden Verlauf der Geschichte zerbricht dieses Band und beide gehen unterschiedlich mit ihrer Krankheit um.

Perry gliedert sich ein und findet sich zu Recht, findet Halt bei seiner Freundin. Auch Ruth findet Halt bei ihrem Freund, aber und hier ist wohl der entscheidende Unterschied: "I don't won't to cope!". Nein, sie möchte eben nicht reinpassen in ein gesellschaftliches Korsett. Bleibt lieber Außenseiterin. Die Frage, die sich hier stellt: Wie geht man mit Außenseitern in der Gesellschaft um? Toleriert man sie mit ihren Eigenheiten? Wenn Ruth nicht unter ihren Halluzinationen leidet, ist es dann nicht egal? Sind Psychopharmaka nicht eigentlich ein Mittel zur gesellschaftlichen Gleichschaltung, die dem Anderen helfen, sich nicht mit den Folgen der Halluzination auseinanderzusetzen? Denn eine weitere Episode zeigt deutlich, daß die Figur Ruth trotz Halluzinationen und Krankheit, ernst zu nehmen ist. Während einer Unterrichtsstunde erzählt Ruths Lehrerin einen rassistischen Witz und Ruth alleine begehrt dagegen auf. Allerdings endet ihr Aufbegehren darin, daß sie der unverbesserlichen Lehrerin ein Buch an den Kopf wirft, was für sie zur Folge hat, daß sie ihr nahegelegt wird, die Schule zu wechseln, auf eine Schule "für Andersbegabte".- Auch hier schimmert ein Thema durch, daß immer noch nicht an Relevanz verloren hat: die Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen.

Dieses Buch kann für mich auch nur als Graphic Novel funktionieren. Text, Thematik und Bilder bilden eine Symbiose und verstärken den Eindruck, den das Buch hinterläßt. Kontrastreiche Schwarz/Weiß Bilder, oftmals ein hektischer Strich, erzeugen das Gefühl von Visionen. Manchmal ist das Lettering klein und krakelig, kaum entzifferbar, folgt man Ruth durch die Schule, hat man das Gefühl, sie befindet sich in einer Blase und der alltägliche Schullärm tobt um sie herum, aber dringt nicht zu ihr durch. Abgeschnitte Sprechblasen im Panel stützen diesen Eindruck. Manchmal ist es schwierig, sofort Sinn in die Bilder zu bekommen, aber auch hier wird nur die Thematik des Comics auf visueller Ebene verstärkt.

Das Ende des Buches kommt ohne große Worte aus und nimmt noch einmal Bezug zu dem Titel "Swallow me whole" und zeigt in deutlichen Bildern, was damit gemeint sein könnte. Ich schreibe "könnte", denn sicher bin ich mir nicht, was eigentlich am Ende passiert. Die Unsicherheit bleibt und auch hier wieder der Zirkelschluß zu einem psychisch kranken Menschen: Denn manchmal ist für diesen die Realität ein Vexierbild, das mit jedem neuen Blickwinkel, Deutung verändert und somit immer in Bewegung bleibt und sich nicht zu einem kohärenten, sinnstiftenden Ganzen zusammenfügt.

Nate, ich danke Dir für diese Buch.


Nate Powell erhielt 2009 den Eisner Award für Swallow me whole in der Kategorie "Best Graphic Novel". Das Buch erscheint bei Top Shelf Productions. Er selbst fast sein Schaffen treffend zusammen: "I'm Nate Powell. I make comics, illustrations, music and biscuits." Er betreibt das DIY-Label Harlan Records. Ich kannte Nate Powell von seiner Zeit bei Sophie Nun Squad. Er hat aber auch noch in diversen anderen Punkbands gespielt.

Lesenswert ist dieses vierteilige Interview, in dem Nate über Entstehungsgeschichte, Deutungsmöglichkeiten und die graphische Umsetzung von Swallow me whole spricht.

In diesem Sinne: Books not Sex!

Dienstag, 26. Oktober 2010

Oh what can I do? I'm feeling blue - Baby's in Black (Rezension)


Astrid Kichherr - Selbstporträt
"Ich sah diese Gesichter auf der Bühne und im selben Moment fiel mein bisheriger Lebensentwurf in sich zusammen und etwas Neues trat an seine Stelle. Zuerst sah ich John, dann die anderen ... Und schließlich Stuart. Er hatte dieses gewisse Etwas, das mir sofort ins Auge sprang – und von dem ich nicht glauben konnte, dass ich es gefunden hatte."
– Astrid Kirchherr

Astrid Kirchherr ist Teil eines Mythos. Sie ist mitverantwortlich dafür, daß die Beatles Pilzkopffrisuren tragen werden. Als sie ihrem damaligen Freund, Stuart Sutcliffe, als erstem einen Pilzkopf schneidet, lacht John Lennon noch darüber. Kirchherr hat die ersten professionellen Fotos von den Beatles geschossen. Diese Fotos sind aber auch der Grund, warum sie mit der Fotographie brach. Es störte sie, immer nur als Beatles-Fotographin wahrgenommen zu werden.  Und sie war bzw. ist mit den Beatles befreundet. "Ich bin von Anfang an sehr stolz auf meine Freunde. Für mich sind sie nicht die Beatles, sie sind meine Freunde."


Ein weiterer Protagonist des Comics Baby's in Black von Arne Bellsdorf ist Klaus Voormann - der älteste Freund der Beatles. Er hat diverse Covers designed u.a. Mando Diao, Turbonegro, Trio, Jimi Hendrix und natürlich die Beatles. Er ist verantwortlich für das Revolver-Design. Außerdem spielte er in Manfred Man Band und in der Band von John Lennon und Yoko Ono Plastic Ono Band. Er hat als music scout  in den achtziger Jahren Trio entdeckt.
Klaus Voorman - Selbstporträt
Im Oktober 1960 bei einem nächtlichen Streifzug über die Reeperbahn, landet Klaus im Kaiserkeller. Er entdeckt Rock'n'Roll, er entdeckt die Band, die später als The Beatles Musikgeschichte schreiben werden. Völlig fasziniert, geradezu atemlos klingelt er nachts bei seiner Freundin Astrid Kirchherr und erzählt ihr, sie müsse unbedingt mitkommen und sich ansehen, was diese Menschen dort auf der Bühne machen. Tatsächlich folgt Astrid ihm an einem der nächsten Abende und auch sie wird mitgerissen von der Musik. Aber nicht nur die Musik, sie scheint sich auch auf den ersten Blick in Stuart Sutcliffe, den damaligen Bassist der Beatles, zu verlieben.

Hamburg painting no. 2, Stuart Sutcliffe
Stuart Sutcliffe wird Astrid Kirchherr heiraten. Er verläßt die Beatles noch bevor diese Erfolg haben, um sich ganz auf die Malerei zu konzentrieren. Sutcliffe war nur bei den Beatles, weil ihn sein Freund John Lennon, den er seit seinen Tagen auf dem Liverpooler College Of Art kannte, darum gebeten hatte. Er ist der fünfte Beatle. Sutcliffe verstirbt im Jahr 1962 in Folge einer Hirnblutung. Die Liebe zwischen Sutcliffe und Kirchherr scheint magisch gewesen zu sein. Pete Best, der damals noch Schlagzeuger bei den Beatles war, bevor Ringo Starr ihn ersetzen sollte, sagt, daß der Beginn dieser Beziehung wie ""one of those fairy stories" war.



Arne Bellsdorf erzählt in dieser Graphic Novel, die bei Reprodukt erschienen ist, die Geschichte einer Liebe. Die Geschichte von Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe. Und natürlich über die frühen Beatles und den Beginn ihrer Karriere. Gleichzeitig bietet diese Novel aber auch einen Einblick in die Hamburger Subkultur der 60er Jahre. Am Rande blitzen die Konflikte zwischen Rock'n'Roll-Jüngern und der künstlerischen Bohème auf, die sich für Jazz und Existenzisalismus interessierten. Bellsdorf erzählt die Geschichte in starken, kontrastreichen schwarz/weißen, melancholischen Bildern. Er selber dazu in einem Interview: "Eben weil Schwarz-Weiß genau ihre Welt war. Sie hatte dieses Ideal, sich reduziert in Schwarz zu kleiden. Das war ihre Welt und das läßt sich einfach gut in eine Zeichnung übersetzen, die mit diesen Kontrasten Hell/Dunkel arbeitet. Es war total naheliegend, daß ich das so umsetze wie einen Schwarz/Weiß-Film von Jean Cocteau."
Bellsdorf ist es gelungen, den Moment der Liebe auf den ersten Blick graphisch einzufangen. Als Leser mußte ich ein wenig schmunzelen als Astrid sagt, nachdem sie von Klaus gefragt wird, ob er ihr zuviel in punkto Beatles versprochen hätte:  "Nicht ganz. Er [Stuart Sutcliffe] sieht viel besser aus James Dean." Dabei sind es doch nur Musiker, die in einer Kaschemme spielen und dabei im Fall von Sutcliffe auch noch eine Sonnenbrille tragen. Also eigentlich etwas dämlich.  Und immer wieder diese Blicke, die das gegenseitige Interesse der Beiden bekunden, man meint, man ist dabei, wenn man sich die Zeichnungen ansieht. Die graphische Umsetzung der Nachricht, dass Sutcliffe in Folge seiner Gehirnblutung ins Krankenhaus muß, hat Bellsdorf eindrucksvoll gelöst. Die Sprechblasen um Kirchherr bleiben leer. Wie in Trance scheint sie, als sie nach Hause eilt, um Sutcliffe beizustehen.  Bellsdorf: "Gerade der Schluß ist eine Sache, die schwierig zu erzählen ist. Weil es ja eigentlich ein harter Einschnitt ist. Dieser Moment, wenn jemand aus dem Leben gerissen wird, das ist eine Sache, die ich selber nicht erlebt habe und die ich mir einfach so vorgestellt habe, dass es ein Moment der Sprachlosigkeit ist." Aber eben auch ein Moment der Entfremdung von der Realität, der Isolation, der völligen Hilflosigkeit.


Sutcliffe und Kirchherr
"When I think about it now, with hindsight, those feelings I had with Stuart - of love - were the strongest I have ever had in my life. I don’t know how to explain it … It was so intense that sometimes it frightened me."
— Astrid Kirchherr

Heurtebise: "Ich verrate Ihnen das Geheimnis aller Geheimnisse... Die Spiegel sind die Tore, durch die der Tod  kommt und geht. Sagen Sie es niemanden weiter. Und dann noch: Betrachten Sie sich Ihr Leben lang im Spiegel, und Sie sehen den Tod arbeiten wie Bienen in einem gläsernen Bienenstock." 
- Jean Cocteau, "Orphée"







In diesem Sinne: Books not Sex! 

Montag, 25. Oktober 2010

To live in peace, dream and plant potatoes - Willkommen im Mumintal (Rezension)

"Vid min Svans!" - Zu Deutsch: "Bei meinem Schwänzchen!". Ich liebe die Mumins. 

1945 wird die Kinderbuchliteratur durch eine Revolution erschüttert. Es erscheint Pippi
Långstrump
von Astrid Lindgren und Småtrollen och den stora översvämningen (dt. Mumins lange Reise) von Tove Jansson. "...die Märchenfee [hielt sich] versteckt, bis Astrid Lindgren in Småland und Tove Jansson in Finnland geboren wurden.’
  
 Tove Jansson wurde 1914 in Helsinki, Finnland geboren. Ihre Familie gehörte der schwedischsprechende Minderheit an. Ihre Eltern waren Künstler: Viktor Jansson Bildhauer und Signe Hammarsten-Jansson Grafikerin und Illustratorin. Eine kreative als auch exzentrische Umgebung. So soll die Kinderfrau Platon vorgelesen haben und das Haustier Poppolino, ein Äffchen, mit Vorliebe karierte Pullover getragen haben. Tove Jansson studierte Kunst an diversen Hochschulen und arbeitete später als Malerin und Illustratorin. Sie schrieb Novellen, Erwachsenen-und Kinderbücher. Sie zeichnete außerdem Comic-Strips.
Der Mumintroll - bei den Mumins handelt es sich um nilpferdartige Trollwesen, dicker Bauch, dicke Nase und Kulleraugen als Markenzeichen - scheint ein Produkt aus Toves Jugend zu sein. So sagt sie, daß sie einen Prototyp des Mumins (dünn und häßlich mit einer langen Nase und einem teufelsartigen Schwanz) in ihrer Jugend an die heimische WC-Wand gemalt hätte. Untertitelt mit "Kant", nachdem sie einen philosophischen Wettstreit mit ihrem Bruder verloren hatte. Dieser Troll tauchte dann ab 1940 regelmäßig als Erkenneungszeichen bei ihren Strips für das Satiremagazin Garm auf. Tove Jansson starb im Juni 2001.

Der erste Mumin-Comic wurde für die finnland-schwedische Zeitung Ny Tid zwischen den jahren 1947-1949 produziert. Später, 1954-1959, wurden Mumin-Comic-Strips für die englische Evening News geschrieben, Tove Jansson erhielt dabei Unterstützung von ihrem Bruder Lars Jansson. Diese Strips erschienen in über 40 Ländern und in ca. 120 Tageszeitungen mit über 20 Millionen Lesern. Die Mumin-Comic-Strips sind wohl deshalb der bekanntest Comicexportschlager aus Finnland. Die Mumin-Comics werden jetzt in einer fünfbändigen Werkausgabe von Reprodukt veröffentlicht. Zur Zeit sind zwei Bände erhältlich, der dritte Band soll im November 2010 erscheinen. Die Bücher kommen in einem schicken Layout daher: Großformatig und in Halbleinen gebunden. So sind sie nicht nur optisch, sondern auch haptisch einfach ein Genuß. Wer nicht warten kann, kann auf die Werkausgabe zurückgreifen, die bei Drawn & Quarterly erschienen ist. Dort sind bereits alle fünf Bände, ebenfalls im Großformat und Halbleinen, erschienen.

  Auf Grund der Rezptionslage in Deutschland zum Beginn der ersten Muminveröffentlichungen bzw. bei den Comics in den 80ern Jahren gibt es erhebliche Diskrepanzn zum Original. Während Tove Jansson sowohl für Erwachsene als auch Kinder geschrieben hat und sich hier die Grenzen verwischen, wurde sie für den deutschen Markt zunächst als Kinderbuchautorin etabliert. Das beinhaltet, daß die ersten Übersetzungen auf einen kindlichen Kosmos ausgerichtet waren. Intertextuelle Bezüge zur Erwachsenenliteratur wurden getilgt. In den Comics wurde den ProtagonistInnen eine kindliche Sprache in den Mund gelegt. Die Rezensionen zu den frühen Comicveröffentlichungen sind auch nicht gnädig zu nennen: "Die dritte und unterste Schicht schließlich bieten 9 “Comic”-Bücher und “Strips” [...]. Hier ist ein ähnlich bedauerliches Phänomen wie beim frühen Disney und seinen späteren Verirrungen zu finden. Der Erfolg und der breite Publikums-Zuspruch haben die Kunst kommerzialisiert und damit korrumpiert." - Wieder einmal jemand, der von Comics keine Ahnung hatte. Der Comic wurde in Deutschland erst mit Asterix und Obelix aus seiner Schmuddelecke bzw. "Nur-Etwas-Für-Kinder-"Label herausgeholt und heute findet man zahlreiche wissenschaftliche Publikation auf hohem (zumindest sprachlichen) Niveau.

Von daher mag es kein Fehler sein, daß ich die Mumins erst vor ein paar Monaten für mich entdeckte. Doch schon jetzt bin ich diesen skurrilen Geschöpfen verfallen. Die Zeichnungen sind detailiert, phantasievoll und laden dazu ein, genau betrachtet zu werden. Die Panelumrandungen sind teilweise in das Bild eingebunden und lohnen auch einen genauen Blick. Das macht das Buch sicherlich für Kinder ungemein spannend. Jeder wird sich in diese Wese verlieben, die dem Kindchenschema entsprechen, weiche Linien und große Augen. Was mich nun als Erwachsene fasziniert, ist nicht allein die überbordende Phantasie, sondern auch die Skurrilität und Absurdidät der Comics. So ist Muminpapa ein Hochstapler, wie er im Buche steht. Er wartet auf Abenteuer, möchte im Leuchtturm wohnen und schwärmt für guten Whiskey. Gerne wäre er ein Hasardeur - ein Glücksspieler. Muminmama erscheint der ruhende Pol der Familie. Sie hat immer ein guten Ratschlag an der Hand, im Gegenzug aber zu der perfekten Hausmutter und Nachbarin Filifjonka  eher ungewöhnliche Methoden der Geschirreinigung. So wird das dreckige Geschirr erst einmal unter dem Bett gestapelt, bis der nächste Regen es wieder sauber waschen kann oder doch lieber gleich beim Strandbad in den Meeresfluten gespült. Kein Wunder, daß zwischen Muminmama und Filifjonka öftermal ein Konflikt auf Grund von unterschiedlichen Lebensentwürfen entsteht. Das Snorkfräulein, ist nicht nur Mumins Freundin, sondern auch ein flotter Käfer. Sie liebt Schmuck und Romantik und verliert ihr Herz allzu schnell an andere Männer. Eine wunderbare Szene findet sich in Mumin an der Rivera, wo das sonst nackte Snorkfräulein sich unter einer Decke in einen kleinen, blauen Bikini windet. In der Figur des Snorkfräuleins paart sich Naivität und Arroganz und man ist ihr rettungslos verfallen. Mumin dagegen scheint oftmals ein hilfloser Träumer, aber nicht minder liebenswert.
Eine meiner liebsten Geschichten handelt u.a. über einen kleinen, dackelartigen Hund, der ein schreckliches Geheimis mit sich herumträgt. Er würde gerne mit Katzen befreundet sein. Muminmama hilft auf ihre eigene Art dem Kleinen, in dem sie einen anderen Hund als Katze anmalt.

Vielleicht mag ich die Mumins auch, weil sie immer im Klinsch mit den typischen gesellschaftlichen Anforderungen stehen: Geld verdienen, Pflichten übernehmen oder ähnliche spaßraubende Aktivitäten. Die Mumins sind ein hedonistischer Verein, der voller Lebensweisheit steckt:, so entapnnt sich folgender Dialog in The Conscientious Moomins nach dem sie Besuch von einem Vertreter der League of Conscience and Duty hatten und Vater Mumin plötzlich angefixt ist, etwas Anständiges aus seinem Leben zu machen: 
Muminpapa: "I thought we'd start our new life by getting up early."
Mumin: "But what'll we do?"
Muminpapa: "I don't know...It's the principle, early to bed, early to rise."
Muminmama: "Why not get up late and go to bed late?" 
Überflüssig zu erwähnen, daß Frau Filifijonka die komplette Sippschaft kurze Zeit später schlafend im Garten vorfindet.

Und Mümmla rät uns allen: "Leg dich auf die Brücke und schau zu, wie das Wasser vorbeifließt. Oder roll dich zusammen und hör zu, wie der Regen aufs Dach trommelt. Es ist ganz leicht, das leben zu genießen." Sollte ich vergessen, wie man das Leben richtig genießt, hier noch mal als kleiner Reminder: Sicherlich gehört dazu bei diesem schmuddeligen Herbstwetter eine Tasse heißer Kakao, leckere Schoki, eingemummelt unter einer Bettdecke, meine Katze schnurrend am Fußende, die Mumins wieder und wieder lesend. Life but how to live it?!


Zur weiteren Erbauung und eine der wenigen deutschen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, sei noch folgender Link nachgereicht, aus dem ich im Posting ebenfalls zitiert habe: Mumins wundersame Deutschlandabenteuer, die Dissertation von Jendis.


In diesem Sinne: Books not Sex!




Dienstag, 19. Oktober 2010

Lustgewinn? - Pornographie an meinem Bett

PC-Sex ist  keine leichte Arbeit: Beim Sex gegen das Patriarchat bin ich dabei (auch wenn ich die Verknüfpung von Lust und Reflexion als orgasmusfeindlich empfinde) - zumindest aber, wenn es darum geht, den geistigen und sexuellen Horizont zu erweitern. Also her mit der Pornographie, ich brauche Aufregung in meinem Bett.

Was heißt das eigentlich Pornographie für Frauen? Diese Frage stellt sich nicht nur Jens Friebe, sondern auch die Brigitte und Fit for Fun.  Fernab natürlich von alten Bekannten wie der Bild. Aber auch Blätter mit seriösen Anspruch wie Der Spiegel klären auf. Es zeigt sich: Sex geht augenscheinlich alle etwas an, ob Fitnessfreak, solide Hausmutter, das Proletariat oder die akademischen Zirkel.  Bei meiner Recherche blieb ich auf  Sexfilme für Frauen hängen  und  entschloß mich mit drei Filmen auf Trap zu bringen und sowohl Seh- als auch Sexgewohnheiten zu erneuern: German Beauty (Die Bild da zu: "in diesem Porno geht's wild zu: Rainer Rosig schlafwandelt lustlos durchs Leben. Seine Ehefrau, Immobilien-Maklerin Frauke, sext mit ihren Kunden, um so ihre Häuser zu verkloppen. Auch Rainers Tochter Tatjana ist kein Kind von Traurigkeit und verlustiert sich mit Nachbar Max. Als Rainer die beste Freundin seiner Tochter kennen lernt regt sich was an ihm und er bringt wieder Glanz in seine Hütte. Richtig, „German Beauty“ ist eine Parodie auf „American Beauty“. Es knistert in der Kiste – und die Musik ist auch schön"), Pink Prison und Five Hot Stories For Her.

Nachdem ordnungsgemäß der Hauptfilm des Abends hinter sich gebracht worden war, wir waren zu zweit, wurde verschämt und doch mit leicht nervösem Unterton und Gekicher im Gespräch der Versuch ins Rollen gebracht. Also ja: Ich habe auch Hemmungen über Sex offen zu reden, denn sobald Intimität auftaucht wird Sex zum bekannten Minenfeld, wo jeder geäußerter Wunsch oder jede ausgesprochene Phantasie mit unter die Offenbarung der eigenen Perversion darstellt und potentiell den/die PartnerIn verschrecken könnte und man mit Zurückweisung umgehen müßte. Außerdem scheint die Sozialisation den meisten von uns eingetrichtert zu haben, daß Pornos kein Gemeinschaftsding sind, sondern eher was für das stille Kämmerlein.

Das Experiment startete mit German Beauty. Warum dieser Film jetzt genau zu Frauenpornographie gehören soll (so zumindest laut Bild), erschließt sich mir überhaupt nicht. Vielleicht deswegen, weil bis zum Vollzug des ersten Geschlechtsakts gefühlte zehn Minuten vergehen? Verpackt in schlüpfrigen Dialogen und billiger Requiste ist dieser Film meilenweit davon entfernt, was sich Konsumentinnen von Pornographie wünschen.

So steht anscheinend der Wunsch nach normalen Frauen im Vordergrund und nicht nach hochglanz Superblondinen mit schön gemachten, großen Silikonbrüsten. Ausgehend von meinem sporadischen Wissen über Pornographie möchte ich behautpen, daß dieses Kriterium vor allen Dingen in Vintagefilmen weithin erfüllt war, wo Frauen einen kleinen Bauch haben oder heute durch das einstellen von Amateurfilmen gesichert ist. Die Frage, die sich mir an dieser Stelle stellt, ist aber: Will ich nicht gerade die Illsuion von schönem Sex und gehört dazu nicht auch ein schöner Körper?

Aber was bedeutet "schön" in diesem Zusammenhang? Es ist kein Geheimnis mehr, daß unser ästhetisches Empfinden durch kulturelle Erzeugnisse geprägt ist, wir durch Werbung und Film beeinflußt werden, indem was wir als schön oder ästhetisch wertvoll finden. Hier kann ein kalkulierter Tabubruch durchaus aufrüttelnd wirken und mich zum nachdenken über stereotype Darstellungen bringen, aber wirkt sich dieser Tabubruch auch bereichernd auf mein Sexleben aus? Nein. Ich befürchte, mein Interesse Lieschen Müller und Karl Schmidt beim Sex zu sehen, ist gering. Also doch gefangen in der heterosexuellen Zwangsmaterix. I don't care. Denn auch Filme wie Five Hot Stories haben Protagonistinnen, die ich als "schön" bezeichnen würde, trotz kleiner Brüste oder verrucht: einer Tätowierung.  So ganz mag sich die Pornoindustrie also doch nicht vom Schönheitsideal verabschieden (oder vielleicht habe ich auch die falschen Filme erwischt?), Sexfilmchen mit adipösen Menschen werden wohl immer noch unter Special Interest gehandelt, wobei eine Tätowierung heute einen Menschen nicht mehr zwangsläufig entstellt.  Und letztendlich wird es Konsumentin und Konsument egal sein, denn so lange der Sex stimmt, ist man wohl bereit Tätowierungen zu übersehen.

Das Problem, was ich mit Five Hot Stories hatte, war eher banaler Natur: Meine Kopie war in Spanisch und da ich dieser Sprache nicht mächtig bin, hätte ich mir auch einfach nur einen beliebigen Bumsfilm ansehen können bzw. verlor so schnell die Inszenierung den Reiz, da ich die Dialoge nicht verstanden habe und es sich meiner Erkenntnis entzieht, in wieweit hier mit gängigen Clichés gebrochen wird. Allein die Kameraführung hat mir im ersten Teil noch keine besondere Seite der Erotik offenbart.

Als letzten Film habe ich Pink Prison angefangen. Dieser Film ist auf narrativer Ebene tatsächlich interessant, bricht er doch direkt am Anfang mit der Figur der allzeitbereiten Lady , die es kaum erwarten kann, gevögelt zu werden (spannend natürlich auch die Frage: Was ist mit dem allzeitbereiten Mann? Oder sind Männer tatsächlich doch nur diese Typen, die immer an Sex denken? Immer können und immer wollen und sowieso gut bestückt durch die Gegend rennen?). Die erste Sexszene zeigt dann auch tatsächlich eine Frau, die einen Mann bei der Masturbation beobachtet und davon angetörnt wird. Insgesamt wird die Hauptdarstellerin als starke Frau inszeniert, die weiß, was sie wann will. Und natürlich gefällt mir das. Trotzdem wurde der Film spätestens da ausgemacht, wo Gemüse mit in das Sexspiel einbezogen worden ist.

Filme aus dem frauenfreundlichen Genre werden im übrigen auch als HeartCore bzeichnet. Diese Begrifflichkeit greift aber auch nur ein gesellschaftliches Stereotyp auf, werden hier doch pornographische Filme mit einer "weichen" und "emotionalen" Seite und Weiblichkeit verbunden - eben das Herz für Frauen und das Harte für die Männer. Aus dem gleichen Grund wehre ich mich auch von Erotik zu sprechen, scheint mir dieser Begriff eine Abstufung zum Begriff der Pornographie zu beinhalten. Ich zumindest will explizite Sexszenen und nicht erotische Abenteuer sehen, die ich so auch ab 20 Uhr im Fernsehen geboten bekomme.

Eine weiterhin wichtige Frage, die für mich den verantwortungsvollen Umgang mit Sex bzw. Pornographie ausmacht - natürlich auf allerlei Geschlechter bezogen - , ist die Art der Produktionsbedingung. Ein Pornofilm kann nach außen hin bzw. innerhalb des Plots und der Story mit Vielerlei brechen (hier beispielsweise die Forderung im Puzzy Power Manifesto), dies ist sicherlich wünschenswert. Bin ich ein/e aufgeklärte/r ZuschauerIn, sollte es mir jeder Zeit möglich sein, zu erkennen, daß es sich um einen Film handelt, also um eine Narration und keineswegs die Wirklichkeit abbildet. Daß dieser Film auch Rückwirkungen auf unsere Wahrnhemung haben kann, möchte ich nicht bezweifeln bzw. habe dies auch bereits kurz in einem vorherigen Absatz angerissen, sehe hier aber immer noch mehr Spielraum und mit entsprechender Kompetenz noch lange nicht die größte Gefahr (außer eben, daß es in der Pornographie oftmals heißt: Porn for white, middleclass men by white, middleclass men und so relevante andere Praktiken und Möglichkeiten der Ausgestaltung von Sexualität unterschlagen werden). Als wichtiger emfpinde ich, daß alle Sexszenen freiwillig gedreht wurden und nicht unter ökonomischen Zwängen erfolgen (Überraschungsmomente, was auf SchauspielerInnen am Set zukommt und sollten sie nicht mitmachen, wird eben der oder die Nächstwillige gebucht). Was jemand erregend findet oder nicht, was er mit sich machen lassen will oder eben nicht, mag jenseits meiner Vorstellungskraft liegen, wichtig erscheint mir nur, daß die vor der Kamera stehende Person in all ihren Bedürfnissen respektiert und anerkannt wird. Darüber scheint man sich auch bei dem PorYes-Award Gedanken gemacht zu haben, wenn man deren Kriterien betrachtet.