Montag, 10. September 2012

Kurz und knapp - Comics für jeden Bedarf



Chronik einer verschwundenen Stadt 

Golo & Dibou

Quelle Avant-Verlag
Comic | Avant-Verlag | 208 S., 24,95 Euro || Ägypten – Götter, Gräber und Gelehrte, Fixstern meiner Kindheit. Als Kind blätterte ich eifrig in den Was ist Was-Bänden zu den alten Ägyptern und zu den Mumien, erklärte kurzerhand Hatschepsut und Kleopatra zu meinen Heldinen und wünschte mir nichts sehnlicher als die Pyramiden zu sehen. Auch Dibou und Golo erliegen dem Charme Ägyptens und kehren 15 Jahre lang immer wieder nach Qurna zuürck, ein Dorf das in Oberägypten lag. Ein Ergebnis ihrers Aufenthalts ist der vorliegende Comicband. Denn das Qurna, das die beiden kennenlernten, ein Dorf, in dem die Zeit still zu stehen stand, wurde von Baggern 2010 komplett abgerissen. Minutiös zeigen beide auf, wie der Massentourismus immer weiter in dieses Biotop eindringt und es schliesslich zerstört. Die Kritik: „Sie leben in der Illusion, Teil einer wohlhabenden Elite zu sein, die Zugang zu Kultur hat und selbst einer Hochkultur angehört, welche die Technik, den Raum, die Zeit behersscht... In Wahrheit sind sie Proletarier mitten bei der Arbeit. Sie arbeiten für die Tourismusbranche auf den untersten Posten...“. Das sitzt. Auch die Altertümerverwaltung ist nicht unschuldig an den Entwicklungen, so wie der Staat, der diese Entwicklungen skrupelos unterstützt und über die Köpfe der Qurnavis entscheidet. Doch das Buch porträtiert auch das alltägliche Leben in Ägypten, zeigt, wie unterschiedliche Kulturen auf einanderprallen. Der Zeichenstil erinnert an Crumb, doch ist der Band viel mehr eine Collage, aus Zeichnungen, Fotos und Briefen. Der Realitätsgehalt scheint authentifiziert. Das ist kein einfacher Comic, es ist ein Requiem auf eine verlorene Stadt. 

Mehr über Golo auf Wikipedia
Rezension von Herrn Platthaus in der FAZ 
Ausführliche Rezension , die noch andere Aspekte des Bands hervorhebt, von Hans Mauritz
Leseprobe auf der Avant Seite




Im Land der Frühaufsteher 

Paula Bulling

Quelle Avant-Verlag
Comic | Avant-Verlag | 120 S., 17,95 Euro || „Im Land der Frühaufsteher“, der Slogan mit dem Sachsen-Anhalt wirbt, und all die positiven Konnotationen, die damit verbunden sind, muss für Asyl suchende Menschen wie ein Hohn klingen. Bulling berichtet in ihrem Comic über deutsche Zustände, Zustände die unmenschlich sind und Irritation hervorrufen. Sie verleiht den Menschen eine Stimme und ein Gesicht, die oft nur geduldt werden. Durch persönlich Gespräche mit Betroffnen und Recherche vor Ort vermittelet sie ein authentisches Bild vom Leben als GeduldeteR. Ein Leben, das geprägt ist vom alläglichen Rassismus und absurden Gesetzen wie der Residenzpflicht, die einmalig in Europa ist. Die Residenzpflicht besagt, dass der oder die Asylsuchende sich nur in dem Landkreis/Bezirk aufhalten darf, in dem die für ihn bzw. sie zuständige Asylbehörde liegt. Eindrucksvoll schafft die Zeichnerin der Leserin zu vermitteln, wie fremd man sich in einem Land vorkommen kann, wenn man die Sprache nicht spricht. Über mehrer Seiten zeigt sie ein Gespräch von EinwohnerInen in einem Heim, die sich auf Mòoré unterhalten, ohne der Leserin eine Übersetzung anzubieten. Ihre eigene Position als weisse, privilegierte Comiczeichnerin reflektiert sie ebenfalls und demonstriert damit, dass sie sich intensiv mit dem Thema und seiner Darstellung auseinander gesetzt hat. Gleiches gilt auch für Lettering und die künstlerische Gestaltung. Beide kommen oft sperrig daher und erschweren zunächst die Zugänglichkeit, doch sind sie der Sache angemessen und spiegeln letzendlich nur die Thematik wieder.     

Seite der Autorin Paula Bulling
Der Band wurde bereits ausführlich in der Presse besprochen, u. a. in der Jungle World eine Rezension verfasst von Georg Seesslen (der Artikel beschäftigt sich auch mit dem Comic von Sophia Martineck und bespricht diesen positiv)
Als Buchtipp bei Radio Bremen
Leseprobe auf der Avant Seite     
          


 

Hühner, Porno, Schlägerei

Sophia Martineck

Comic | Avant-Verlag | 52 S., 14, 95 Euro ||  Heidi von der Alm steht für die Sehnsucht einer heilen Welt, die Idylle in der Natur. Raus in die Stadt und rein ins Grüne. Dort wo die Welt noch in Ordnung ist. Die Alm ist zwar nicht zwangsläufig ein Dorf, aber doch mit ähnlichen Stereotypen verhaftet.  – Ich selber bin einem Dorf groß geworden und weiß die Vorzüge einer Jugend, die man im Wald verbringt oder auf Fußballplätzen, zu schätzen. Doch auch ich kannte all die Geschichten: ständige Besäufnisse auf Schützenfeste, Schlägereien und Bordellbesuche haben auch hinter der Fassade statt gefunden. Wenn Martineck von Mord und Totschlag erzählt, von Sodom und Gomorrah und der heilen Welt auf dem Dorf, tut sie das  ironisch, distanziert. Inspiration fand die Zeichnerin in der Lokalpresse, die all die Schicksale sammelt. Niederböhna, Ort der Handlung, ist nur die Blaupause für all die anderen idyllisch-gemeinen Dorfplätze  Zugegeben clever arrangiert sie die Bilder zum Text, oftmals karikierend. Das Buch mag der eine als Hommage an das wilde Leben auf dem Dorf verstehen, die andere mag es vielleicht erschüttern, dass Heidi nur Fiktion ist. Ich selber war eher froh, dass das Buch mit 52 Seiten kurz ist, denn für mich brachte es nur das Offensichtliche zu Tage: Leben ist überall gleich.                  

Die Seite von Sophia Martineck
Wie bereits beim Comic von Paula  Bulling verweise ich auf die Rezension von Georg Seesslen in der Jungle World, der im Gegensatz zu mir gefallen an dem Band fand
Hier noch ein kurzer Clip auf YouTube von zdf.kultur
Leseprobe auf der Avant Seite