Dienstag, 14. Dezember 2010

Rekonvaleszenz - Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht


Prolog
Ich bin 13 Jahre alt. Ich habe eine beste Freundin. Wir teilen alles. Ich gebe ihr ein Büchlein, in dem meine Gefühlswelt  von mir seziert wurde. Ich entsinne mich, daß ich eine Zeichnung eingefügt hatte: ich hinter Gittern.
Ich bin vielleicht 15 Jahre. Ich wiege um die 80kg bei einer Grüße von 1,70 m. Meine Freunde und ich versuchen durch einen vollen Zug zu gelangen. Es ist Karneval. Beim Versuch an einer Gruppe Jugendlicher entlang zu kommen, werde ich als „fettes Schwein“ bezeichnet.
Ich bin ca. 18 Jahre alt. Seit einem Jahr verletzte ich mich wieder selber.
Ich bin immer noch 18 Jahre alt. Meine Mutter hat im betrunkenen Kopf versucht, mich zu würgen und dabei gesagt, daß sie mich umbringen würde.
Ich bin 23 Jahre alt und habe meinen ersten Freund. Nachdem wir miteinander das erste Mal geschlafen haben, habe ich Schluß gemacht, weil ich ihn liebe.
Ich bin 24 Jahre alt, ich mache eine Therapie. Ich bin in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Ich bin 25 Jahre alt. Mein Leben entgleitet mir. Ich breche Kontakte zu alten Freunden ohne Begründung ab. Mit meinen Eltern kommuniziere ich über Briefe. Weihnachten verbringe ich allein und ich bin das erste Mal glücklich.
Ich bin 26 Jahre alt. Ich versuche mir mit 90 Tabletten das Leben zu nehmen. Nach dem gescheiterten Suizidversuch, höre ich mit dem Selbstverletzen auf.

Rekonvaleszenz – Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht
Auch Arthur Schoppenhauer war ein Pessimist. Für ihn war Leben eine „mißliche Sache“, doch gerade aus diesem Grunde erschien es ihm ratsam darüber nachzudenken. In meiner Jugend blieb mir Schoppenhauer erspart. Leben war eine Selbstverständlichkeit. Selbst als die Pubertät es nicht sonderlich gut mit mir meinte. Der größte Feind neben der Gesellschaft und den eigenen Eltern war man selber. Pickel und Überfettung lieferten im Kampf gegen mich wertvolle Munition, um das Selbstwertgefühl für unbestimmte Zeit in Schutt und Asche zu legen. Ich fing an Punkmusik zu hören. Oder, so rede ich es mir heute zumindest gerne ein, hörte diese ausschließlich.  Manchmal war ich nicht ganz sicher, ob nicht die Texte, die ich laß, die ich abschrieb und mitsang nicht Schuld sind, daß ich mein Leben aus der pessimistischen Perspektive betrachtete. Nick Hornby sollte später  in seinem Debut „High Fidelity“ den Erzähler über jenen unsäglichen Einfluß, den Popmusik auf uns haben kann, spekulieren lassen. Aus diesem Grund kann ich sagen, daß ich froh bin, daß ich erst so spät auf Joy Division gestoßen bin – denn „i’ve got the spirit but lose the feeling“. Doch selbst wenn ich damals immer mal wieder über den Suizid phantasierte, zweifelte ich nicht daran, daß ich lebte. Was nicht heißen soll, daß ich heute daran zweifeln würde (nur manchmal verwerfe ich schnell den rettenden Gedanken, daß Leben einen Sinn hat, auf den ich mich mit vorgetäuschtem Optimismus stürze und öffne so der Panik Hirn und Herz). Damals war der Tod nur ein reizvolles Ablenken von der erdrückenden Last des Tages.
Ich habe mein Gedächtnis  extern ausgelagert. Mit Füller und Papier gegen das Vergessen.   Der erste Kuß, notiert. Festgehalten als betrunkene Hymne auf die Jugend. Das erste Mal Sex, ebenfalls verewigt als schamvolles Debakel, nicht nur auf dem Papier. Während ich also durch meine gesammelten Erinnerungen blättere, sehe ich deutlich, worauf das alles hinaus laufen mußte. Doch was ist schon deutlich, wenn man im Jetzt lebt? Sinn entsteht erst, wenn die Vergangenheit reflektiert wird, wenn Verkettungen von Zufälligkeiten kausale Grausamkeit unterstellt wird. Doch es mag verwundern, die Tage, an dem ich versuchte, mich zu suizidieren (von lateinisch sui caedere) und mit der mißlungenen Konsequenz leben mußte, wurden nicht festgehalten. Als ob ich vergessen wollte.  Von dem Tag selber ist mir einzig eine Notiz erhalten geblieben.  Und höchst wahrscheinlich der ein oder andere Aktenvermerk.
Wittgenstein hatte wohl nicht unrecht, wenn er schrieb, daß die Welt der Glücklichen eine andere sei, als die der Unglücklichen. Vergleichbar mit Tolstois berühmten Satz: „Alle glücklichen Familien  ähneln einander, jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.“  Meine eigene Art unglücklich zu sein.
Der Moment des Absprungs, so bezeichnet ihn Paul Améry,  unterliegt einer eigenen Logik, die Lebende nicht nachvollziehen können.  Und das obwohl der Tod jeden Tag in uns wächst (übrigens auch Améry, der nicht unrecht hat, denn wir müssen damit leben, daß wir sterben werden. Hier mag Epikurs Rat zwar nützlich sein, daß  der Tod uns nichts angeht, da solange wir sind, er nicht ist und wenn er uns dann doch ereilen sollte, wir nicht mehr sind. Aber ihm unterläuft der Fehler, daß der Mensch ein Wesen ist, das erinnert und so erinnern wir uns an den Tod unserer Freunde. Fun never ends until you bury a friend. Die Lücke, die jemand läßt, wird gefüllt mit der eigenen Hilflosigkeit, aber auch mit dem temporären Vergessen. Denn nur durch das temporäre Vergessen können wir Leben. Mit den Toten kann man hingegen nicht leben.) Mein Moment des Absprungs war eine Nacht, in der ich ziellos meine Tabletten in mich hineinstopfte und darauf hoffte, daß ich sanft entschlafen würde. Es gab keinen Anlaß, der Tag war so schrecklich oder so schön, wie jeder andere zuvor. Ich war es nur satt. Ich wollte heraus aus diesem Einerlei. Ich wollte nicht allein sein.
Allein.
 Eventuell kennt jemand Paul Coelho, seines Zeichens schrecklichster Bestseller-Autor. Doch die Erfahrung seiner Roman-Figur Veronika kann ich nur bestätigen, der Versuch sich mit Tabletten zu töten, ist unangenehm. Man stirbt nicht auf die sanfte Art und das Fegefeuer, je nach Religion, wartet auch nicht auf einen.  Der Körper verkrampft sich, das Herz beginnt zu rasen, man kotzt und kotzt, bricht zusammen und wird gefunden. Eventuell in dieser Reihenfolge.  Kommt in ein Krankenhaus und wartet darauf, daß man stirbt.  Aber man will jetzt doch nicht mehr. Zu anstrengend. Zu anders, als man es sich vorgestellt hat. Man will nicht einschlafen, denn wer weiß, vielleicht wacht man nicht mehr auf? Atmet man noch? Ist da nicht der weiße Tunnel? Sind dort nicht die Eltern, die einen anschreien, warum machst du das? Lebst du noch? Stirbst du schon? Du hast doch nichts gesehen, du bist doch viel zu jung. Als ob mit dem überstandenen Suizidversuch die Chance auf ein besseres Leben winkt, mir alle Türen offen stehen würden. Aber zumindest die Chance, worauf auch immer. Eben die Schönheit der Chance.
Natürlich ist dies keine Geschichte ohne Happy End, denn ich sitze hier und schreibe das auf, bin also nicht in dieser Nacht gestorben. Ich weiß nicht, wie nah ich am Tod dran war. Näher als gewöhnlich? Vielleicht.  Ich habe eine Nacht auf einer Intensivstation verbracht. Den folgenden Tag mußte ich entgiften. Ich habe Stimmen gehört, die nicht da waren.. Ich habe Dinge gesehen, die nicht real waren. Meine Phantasien bewegten sich irgendwo zwischen „Fear and Loathing in Las Vegas“, „Einer flog über das Kucksnest“ und „Twilight Zone“.  Das Kreuz auf meinem Zimmer war für mich ein sicheres Zeichen dafür, daß ich auf der Sterbestation lag.   Das Nachthemd, das ich trug, glich in seiner Übergröße einem Totenhemd. Ich schrie die Pflegerin an: „Hier sind überall alte Menschen. Ich werde sterben.“ Wahnvorstellungen verleiten einen zu irrationalem Handeln. Am nächsten Tag wurde ich in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Eine Nacht habe ich im Beobachtungsraum gelegen. Ich konnte nicht schlafen. Eine Mitpatienten sagte zu mir: „Zeig Dich kooperativ, sonst haben die dich gleich ganz genau im Auge.“   Ich habe mich schrecklich gefühlt, aber ich wußte, daß dieser Tiefpunkt auch ein Wendepunkt sein würde.
 Ich glaube, ich weiß,  was es bedeutet, daß man stirbt. Und ich habe Angst vorm Sterben. Nicht vor dem Tod, denn ich bin überzeugter Atheist. Vor nichts braucht man sich also nicht zu fürchten. Aber mit dem Sterben ist es anders. Manchmal schrecke ich nachts auf und japse nach Luft, ein immer wieder kehrender Alptraum, ich hätte vergessen zu atmen, die Atmung wäre langsamer geworden und ich würde gleich sterben. Deswegen rasch eilige Atemzüge, wer nicht schläft, der kann ja auch bekanntlich nicht sterben (oder war es lieben?), nicht wahr Schlafes Bruder? Der Herzschlag wird gefühlt, der Puls rast. Das Licht wird angemacht und man lebt durch die Nacht. Schlafstörungen als Folge eines mißlungenen Ausstiegsversuchs.
Ich versuche darüber zu schreiben, aus welchen Gründen ich 90 Tabletten nahm, an einem Abend, wie jedem anderen in deinem und meinem Leben.  Ich könnte über biologische Faktoren spekulieren, die mich anfällig für psychische Krankheiten machen. Ich könnte auf die mißratene Kindheit verweisen, all die kleinen Episoden, die sich aneinander reihen und mich zu dem machen, was ich bin.  Doch die Sprache bleibt stumm. Sie transportiert nicht, was ich an diesem Abend  fühlte. Was ich heute noch fühle. Sie beschreibt zwar, bleibt aber trotzdem leer. Sie verschleiert das Motiv, obwohl es so scheint, als ob sie dem Betrachter ein klares Bild liefert. Sie ist ein trompe l’oiel.  Die Kunst wird so zur einzigen Form, sich über den Tod zu verständigen. Denn die Kunst schafft, was die Funktionalität der Sprache verhindert. Sie berührt unmittelbar.

Dying Is an art, like everything else,
 I do it exceptionally well. I do it so it feels like hell. I do it so it feels real
Sylvia Plath

Epilog
Ich bin 30 Jahre alt. Ich bin am Leben gescheitert. Ich möchte etwas über Freundschaft schreiben. Darüber, wie wertvoll, wie einzigartig, wie verletzend, wie belastend Freundschaften sein können. Doch was ich feststelle: daß ich mit mir selber immer noch keine Freundschaft geschlossen habe und mein Selbstbild ständig zwischen Größenwahn und Selbstverlust oszilliert. Ich bin nicht zufrieden, ‚angekommen‘, sondern immer noch auf der Suche. Wenn ich akzeptieren könnte, wer ich bin, wenn ich mich selber mögen könnte, wenn ich mit mir befreundet sein könnte…Ich schaue mich im Spiegel an und erkenne die Person nicht, die mir entgegen blickt. Soll ich das sein?  Diese Wangenknochen, dieser leicht dümmliche Ausdruck.  Der hervorstehende Mund und die ersten Fältchen. Ich möchte dieser Person die Haut abreißen, sie entkleiden, enttarnen. Ich möchte ihr ins Gesicht schlagen, möchte sie bluten sehen, denn sie ist nicht ich. Diese Person hat sich meiner bemächtigt, vor langer Zeit und führt ein parasitäres Eigenleben in meinem Körper. Sie  kann nicht ich sein. Merkt das denn keiner?  Und doch, das bin ich. Zerrissen. Verletzlich. Hilfsbedürftig. Einsam. Immer im Konflikt mit mir selbst, mit meinem Bewußtsein, meinem Ich-Sein.  Ich gebrauche Menschen, um selber etwas fühlen zu können. Sie sind  ein Spiegel, der  reflektiert, wer ich sein könnte. Ich bin ein schlechter Mensch.  Ich bin ein Pessimist. Und damit bin ich in keiner schlechten Gesellschaft.  


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Dies ist eine Neufassung eines Textes, der dieses Jahr im HRVST erschien und im nächsten Jahr noch einmal in einem anderen Zusammenhang erscheinen wird.  Ich möchte mich noch einmal bei Hendrik und Sebastian bedanken, daß sie meinen Text in ihrem wundervollen Buch aufgenommen haben. Das Konzept hinter HRVST ist so simpel, wie wirkungsvoll: ein Thema, dass eine Reihe von unterschiedlichen Menschen eint, die versuchen sich in ihrer Kunst auszudrücken. Demnächst wird der zweite Band erschienen und ich bin sehr gespannt, was die unterschiedlichen Menschen zum Thema "Jugend" beitragen werden. Der erste Band erschien zum Thema "Death", das mich seit geraumer Zeit umtreibt. Auch heute. Gestern ist ein geliebter Mensch von mir gegangen. Ich tue mich schwer mit Wörtern wie "Liebe", wenn ich sie im familiären Kontext benutzen soll. Aber ich erinnere mich so lebhaft an die unterschiedlichsten Episoden, in denen sich ihr Leben und mein Leben überschnitten, kreuzten und ineinander verwebten und wünschte, ich hätte in den letzten Minuten da sein können und ihre Hand halten können und ihr noch einmal sagen können, daß ich sie liebe.

Montag, 13. Dezember 2010

Insomnia Pt. 1 ( " 9,10... never sleep again " )

Insomnia Pt 1

I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left

Feeding memories from 2.54 am to now:
The evening we fucked for the first time.
You were my first man and i was your sixth girl.
Or was i the eigth?

TV news flickered in the back.
Shadows and Bodies melting together
and by god i loved you (whatever that means)
and by god i adored you

You fell asleep before me,
and
I turned myself from the left to the right
to the left to the right
walked from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left


Next morning - before you left me - we fucked again
Through 4 and a half Johnny Cash songs.

You closed the door behind US
as Johny sang his 10th song (Country Trash)
You on the outside,
I lost
with Cash
at the insight.

Through all those episodes of craziness
- loving you for being kind to me
hating you for being nice to me-
what i remember best is the
laugh
            we shared
                                during our fuck .

I'm sorry to say: It wasn't funny at all
- laughter of deperates saying
we lost it all.

And
I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left