Montag, 25. Oktober 2010

To live in peace, dream and plant potatoes - Willkommen im Mumintal (Rezension)

"Vid min Svans!" - Zu Deutsch: "Bei meinem Schwänzchen!". Ich liebe die Mumins. 

1945 wird die Kinderbuchliteratur durch eine Revolution erschüttert. Es erscheint Pippi
Långstrump
von Astrid Lindgren und Småtrollen och den stora översvämningen (dt. Mumins lange Reise) von Tove Jansson. "...die Märchenfee [hielt sich] versteckt, bis Astrid Lindgren in Småland und Tove Jansson in Finnland geboren wurden.’
  
 Tove Jansson wurde 1914 in Helsinki, Finnland geboren. Ihre Familie gehörte der schwedischsprechende Minderheit an. Ihre Eltern waren Künstler: Viktor Jansson Bildhauer und Signe Hammarsten-Jansson Grafikerin und Illustratorin. Eine kreative als auch exzentrische Umgebung. So soll die Kinderfrau Platon vorgelesen haben und das Haustier Poppolino, ein Äffchen, mit Vorliebe karierte Pullover getragen haben. Tove Jansson studierte Kunst an diversen Hochschulen und arbeitete später als Malerin und Illustratorin. Sie schrieb Novellen, Erwachsenen-und Kinderbücher. Sie zeichnete außerdem Comic-Strips.
Der Mumintroll - bei den Mumins handelt es sich um nilpferdartige Trollwesen, dicker Bauch, dicke Nase und Kulleraugen als Markenzeichen - scheint ein Produkt aus Toves Jugend zu sein. So sagt sie, daß sie einen Prototyp des Mumins (dünn und häßlich mit einer langen Nase und einem teufelsartigen Schwanz) in ihrer Jugend an die heimische WC-Wand gemalt hätte. Untertitelt mit "Kant", nachdem sie einen philosophischen Wettstreit mit ihrem Bruder verloren hatte. Dieser Troll tauchte dann ab 1940 regelmäßig als Erkenneungszeichen bei ihren Strips für das Satiremagazin Garm auf. Tove Jansson starb im Juni 2001.

Der erste Mumin-Comic wurde für die finnland-schwedische Zeitung Ny Tid zwischen den jahren 1947-1949 produziert. Später, 1954-1959, wurden Mumin-Comic-Strips für die englische Evening News geschrieben, Tove Jansson erhielt dabei Unterstützung von ihrem Bruder Lars Jansson. Diese Strips erschienen in über 40 Ländern und in ca. 120 Tageszeitungen mit über 20 Millionen Lesern. Die Mumin-Comic-Strips sind wohl deshalb der bekanntest Comicexportschlager aus Finnland. Die Mumin-Comics werden jetzt in einer fünfbändigen Werkausgabe von Reprodukt veröffentlicht. Zur Zeit sind zwei Bände erhältlich, der dritte Band soll im November 2010 erscheinen. Die Bücher kommen in einem schicken Layout daher: Großformatig und in Halbleinen gebunden. So sind sie nicht nur optisch, sondern auch haptisch einfach ein Genuß. Wer nicht warten kann, kann auf die Werkausgabe zurückgreifen, die bei Drawn & Quarterly erschienen ist. Dort sind bereits alle fünf Bände, ebenfalls im Großformat und Halbleinen, erschienen.

  Auf Grund der Rezptionslage in Deutschland zum Beginn der ersten Muminveröffentlichungen bzw. bei den Comics in den 80ern Jahren gibt es erhebliche Diskrepanzn zum Original. Während Tove Jansson sowohl für Erwachsene als auch Kinder geschrieben hat und sich hier die Grenzen verwischen, wurde sie für den deutschen Markt zunächst als Kinderbuchautorin etabliert. Das beinhaltet, daß die ersten Übersetzungen auf einen kindlichen Kosmos ausgerichtet waren. Intertextuelle Bezüge zur Erwachsenenliteratur wurden getilgt. In den Comics wurde den ProtagonistInnen eine kindliche Sprache in den Mund gelegt. Die Rezensionen zu den frühen Comicveröffentlichungen sind auch nicht gnädig zu nennen: "Die dritte und unterste Schicht schließlich bieten 9 “Comic”-Bücher und “Strips” [...]. Hier ist ein ähnlich bedauerliches Phänomen wie beim frühen Disney und seinen späteren Verirrungen zu finden. Der Erfolg und der breite Publikums-Zuspruch haben die Kunst kommerzialisiert und damit korrumpiert." - Wieder einmal jemand, der von Comics keine Ahnung hatte. Der Comic wurde in Deutschland erst mit Asterix und Obelix aus seiner Schmuddelecke bzw. "Nur-Etwas-Für-Kinder-"Label herausgeholt und heute findet man zahlreiche wissenschaftliche Publikation auf hohem (zumindest sprachlichen) Niveau.

Von daher mag es kein Fehler sein, daß ich die Mumins erst vor ein paar Monaten für mich entdeckte. Doch schon jetzt bin ich diesen skurrilen Geschöpfen verfallen. Die Zeichnungen sind detailiert, phantasievoll und laden dazu ein, genau betrachtet zu werden. Die Panelumrandungen sind teilweise in das Bild eingebunden und lohnen auch einen genauen Blick. Das macht das Buch sicherlich für Kinder ungemein spannend. Jeder wird sich in diese Wese verlieben, die dem Kindchenschema entsprechen, weiche Linien und große Augen. Was mich nun als Erwachsene fasziniert, ist nicht allein die überbordende Phantasie, sondern auch die Skurrilität und Absurdidät der Comics. So ist Muminpapa ein Hochstapler, wie er im Buche steht. Er wartet auf Abenteuer, möchte im Leuchtturm wohnen und schwärmt für guten Whiskey. Gerne wäre er ein Hasardeur - ein Glücksspieler. Muminmama erscheint der ruhende Pol der Familie. Sie hat immer ein guten Ratschlag an der Hand, im Gegenzug aber zu der perfekten Hausmutter und Nachbarin Filifjonka  eher ungewöhnliche Methoden der Geschirreinigung. So wird das dreckige Geschirr erst einmal unter dem Bett gestapelt, bis der nächste Regen es wieder sauber waschen kann oder doch lieber gleich beim Strandbad in den Meeresfluten gespült. Kein Wunder, daß zwischen Muminmama und Filifjonka öftermal ein Konflikt auf Grund von unterschiedlichen Lebensentwürfen entsteht. Das Snorkfräulein, ist nicht nur Mumins Freundin, sondern auch ein flotter Käfer. Sie liebt Schmuck und Romantik und verliert ihr Herz allzu schnell an andere Männer. Eine wunderbare Szene findet sich in Mumin an der Rivera, wo das sonst nackte Snorkfräulein sich unter einer Decke in einen kleinen, blauen Bikini windet. In der Figur des Snorkfräuleins paart sich Naivität und Arroganz und man ist ihr rettungslos verfallen. Mumin dagegen scheint oftmals ein hilfloser Träumer, aber nicht minder liebenswert.
Eine meiner liebsten Geschichten handelt u.a. über einen kleinen, dackelartigen Hund, der ein schreckliches Geheimis mit sich herumträgt. Er würde gerne mit Katzen befreundet sein. Muminmama hilft auf ihre eigene Art dem Kleinen, in dem sie einen anderen Hund als Katze anmalt.

Vielleicht mag ich die Mumins auch, weil sie immer im Klinsch mit den typischen gesellschaftlichen Anforderungen stehen: Geld verdienen, Pflichten übernehmen oder ähnliche spaßraubende Aktivitäten. Die Mumins sind ein hedonistischer Verein, der voller Lebensweisheit steckt:, so entapnnt sich folgender Dialog in The Conscientious Moomins nach dem sie Besuch von einem Vertreter der League of Conscience and Duty hatten und Vater Mumin plötzlich angefixt ist, etwas Anständiges aus seinem Leben zu machen: 
Muminpapa: "I thought we'd start our new life by getting up early."
Mumin: "But what'll we do?"
Muminpapa: "I don't know...It's the principle, early to bed, early to rise."
Muminmama: "Why not get up late and go to bed late?" 
Überflüssig zu erwähnen, daß Frau Filifijonka die komplette Sippschaft kurze Zeit später schlafend im Garten vorfindet.

Und Mümmla rät uns allen: "Leg dich auf die Brücke und schau zu, wie das Wasser vorbeifließt. Oder roll dich zusammen und hör zu, wie der Regen aufs Dach trommelt. Es ist ganz leicht, das leben zu genießen." Sollte ich vergessen, wie man das Leben richtig genießt, hier noch mal als kleiner Reminder: Sicherlich gehört dazu bei diesem schmuddeligen Herbstwetter eine Tasse heißer Kakao, leckere Schoki, eingemummelt unter einer Bettdecke, meine Katze schnurrend am Fußende, die Mumins wieder und wieder lesend. Life but how to live it?!


Zur weiteren Erbauung und eine der wenigen deutschen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, sei noch folgender Link nachgereicht, aus dem ich im Posting ebenfalls zitiert habe: Mumins wundersame Deutschlandabenteuer, die Dissertation von Jendis.


In diesem Sinne: Books not Sex!




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