Donnerstag, 13. Januar 2011

Teddys Tag im Zoo: Wombat - "The Wombat is a Joy, a Triumph, a Delight, a Madness!"

Okay. Punk, Sex, Bücher. Die glorreichen Drei. Ein Hoch auf verschwendete Zeit, ein Abgesang auf die Postadoleszens, den finanziellen Ruin ... Doch ein weiteres Hobby raubt mir Zeit und Energie: Dogwatching, Animalspotting, Catsitting.  Die Freude über ein neuentdecktes plüschiges oder schuppiges Wesen, das mit gefährlichen Spzialwaffen ausgestattet ist im Kampf gegen Gangster und Freßfeinde ... Die Freude, die man empfindet, wenn man wieder merkt, daß die Natur für alles eine Antwort hat -  und all dieses Wissen, das kann einem schon mal den Smalltalk erleichtern: hinter dem Tresen, in der Disco oder an der Tankstelle. Wer nur über das Wetter reden kann, ist ein Miesepeter. Also für alle, die gerne mit ihrem Fachwissen über die Fauna glänzen wollen, hier eine neue Rubrik: "Teddys Tag im Zoo".

"Wäre es nicht schön, wenn der Frankfurter Zoo ein Wombat-Pärchen erwerben könnte? Ich kann mich an diese freundlichen und rundlichen Tiere mit viel Identifikation aus meiner Kindheit erinnern..." -  Theodor W. Adorno in einem Brief an den Zoologen Bernhard Grizmek (Müller-Doohm, Stefan: Adorno. Eine Biographie, Frankfurt a. Main 2003).


Bevor ich mich jetzt in Anekdoten über Adorno verliere ("Ein großer Mann stand ihm [Adorno, K] gegenüber, eindrucksvoll, eine Frankfurter Geschäftspersönlichkeit. Er klagte bei Adorno über das Fernsehen, das er  sich ins Haus geholt hatte. '"Was soll ich nur machen. Von Ihnen als Soziologie-Professor erhoffe ich mir einen Rat. Meine Kinder bringe ich nicht mehr vom Fernsehappart weg. Was soll ich da bloß tun?' Adorno schaute ihn erstaunt-amüsiert an und sagte, seine Hände gestisch in Kopfhöhe bewegend: 'Kinder totschlagen, Kinder totschlagen.'" Schmitdchen, Gerhard: Der Gesang des Denkens. Mein Weg zu Adorno, in: Adorno-Portraits. Erinnerungen von Zeitgenossen, hrsg. v. Stefan Müller-Doohm, Frankfurt a. Main 2007. ), zurück zum Smalltalkthema: Wombat und somit vielleicht auch eine weitere Dimension in Teddy Adornos Leben entdecken.

Diprotodon optatum
Der eigentlich Vorfahr des Wombats ist der sogenannte Diprotodon optatum - das größte Beuteltier, das jemals gelebt hat (Abgefahren: Was konnte der wohl in seinem Beutel mitschleppen?). Seine Nachfahren sind die heute lebenden zwei Gattungen: Haarnasenwombat (Lasiorhunis) und Nacktnasenwombat (Vombatus ursinus). Wombats nennt man auch ganz gerne Plumpbeutler. Den Namen erhielt das possierliche Tier von den Aborigines, die ihn u.a. als whom-batt bezeichneten.

Wombats haben nicht nur die Form eines kompakten Bulldozers, sie sind sogar Bulldozer. Die kleinen Augen und Ohren, der kurze Nacken und der starke Körperbau mit kraftvollen Schultern und Beinen - prädestiniert um unterirdisch zu graben. Der abgeflachte Vorderkopf wird dabei oft als Rammbock benutzt. Mit den Vorderbeinen wird gegraben, die Hinterbeine schaufelen dann den ganzen Dreck an die Erdoberfläche. Das rauhe Fell des Wombats - in etwa eine Textur wie eine Fußmatte - eignet sich hervorragend als Wetterschutz. Sie erreichen eine Größe von ca. 70-120 cm und ein Gewicht von 20 bis zu 40 kg.


Der Tagesablauf eines Wombats: lange in den Tag hinein schlafen, erst in der Dunkelheit die Lage austesten. Denn zuviel Hitze oder Sonnenlicht sind tödlich für einen Wombat. Am liebsten futtern sie Gras. Und sie sind Einzelgänger. Trotzdem verfolgen sie keine strikte Territoriumspolitik, ein bißchen Abstand zueinander reicht ihnen meist, um gemütlich weiter zu fressen. Zur Kommunikation verwenden Wombats gewöhnlich keine Geräusche, sie erkennen sich am Geruch und an ihren Ausscheidungen.


Aus: How to scratch a Wombat
Ein Jungtier kommt schon nach 20 Tagen auf die Welt. Die folgenden ca. sechs Monate verbleibt das Jungtier im Beutel der Mutter - der Beutel befindet sich mit seiner Öffnung zu den Hinterbeinen am unteren Bauchrand -  und ernährt sich von ihr. Erst im 6. Monat beginnt das Jungtier seine Umgebung außerhalb des Beutels zu erkunden. Zwischen dem 12-15 Monaten hört das Jungtier auf Milch zu trinken, meist verweigert die Mutter im entsprechenden Alter ihre Zitzen durch das flache Hinlegen auf den Bauch. Im Alter von zwei Jahren ist der Wombat unabhängig und mit drei Jahren geschlechtsreif. 

Das Paarungsverhalten gleicht einem "Hasch mich, ich bin der Frühling". In den ersten beiden Tagen wirken Männlein wie Weiblein wie Spinnefeind, doch am letzten Tag bekommt das Verhalten einen spielerischen Charakter und wenn sich das Weibchen in ihren Bau zurück zieht - Wombats leben in oftmals selbstgegrabenen Bauten - folgt das Männchen zur Paarung. 

Meine Informationen beziehe ich aus diesem wundervollen, kleinem nützlichen Buch: French, Jackie: How to scratch a Wombat. Where to find it ...What to feed it ...Why it sleeps all day, New York 2009.  Die Autorin scheint eine wahre Wombatkennerin zu sein, immerhin ist dies schon ihr drittes Buch über diese wundervollen Tiere (Als Expertin qualifiziert sie ihre jahrelange Erfahrung mit diesen Tieren). Als weitere Titel der Autorin sind zu nennen: Diary of a Wombat und Diary of a Baby Wombat. 

Und noch was zur Erbauung: der Maler, Designer, Übersetzer und Poet Dante Gabriel Rossetti ließ sich künstlerisch inspirieren und verfaßte die Ode an einen Wombat (Ode to a Wombat):

O how the family affections combat
Within this heart, and each hour flings a bomb at
My burning soul! Neither from owl nor from bat
Can peace be gained until I clasp my wombat.



In diesem Sinne: "Why was man put on earth? Tigerfood!"

Donnerstag, 6. Januar 2011

Nächtliche Anekdote - Boltanski und Hardcore

Die Band war befreundet mit einer Freundin. Sie waren verdammt jung, naja, nicht zwölf, sondern in der Spätadolezsens und es war ihr letzter Abend in Deutschland. Die Band, meine Freundin, ein Freund und ich waren noch unterwegs, haben gelacht und vielleicht haben die Jungs auch noch was getrunken. Oder waren sie straight edge? Wir fuhren nach Hause und die Stimmung war ganz gut. Ich schlief mit dem Freund in dem Bett der Freundin und die Bandmitglieder verteilten sich an strategisch gemütlichen Orten. Tatsächlich kann ich mich noch nicht einmal mehr an den Namen der Band erinnern, es ist egal. 

 "Kat- Look over here". 

Natürlich folgte ich der Aufforderung und ein junger Mann stand dort, mit runtergelassener Hose. Sein Geschlechtsteil entblößt und ich sagte nur: "You have a short one". Lacher auf meiner Seite. Glück gehabt. Ich bin schlagfertig genug und keine Spaßbremse. Trotzdem habe ich mich in dem Moment schrecklich aufgeregt und mein Bettgenosse hat noch nicht einmal verstanden, worum es mir ging. In Erinnerung blieb mir nur, daß mir gesagt wurde, daß das alles nicht so schlimm sei. 

Nein, natürlich ist das nicht schlimm. Es war ja alles nur ein Spaß. Sie verstehen doch Spaß?! -  Ich verstehe augenscheinlich wenig Spaß. Aber so sind sie die Feministinen. Nie lassen sie einen ausreden und immer sind sie gegen Spaß. Wahrscheinlich möchten sie einem auch noch den Mund verbieten und fühlen sich ständig benachteiligt und mockieren sich über feine Unterschiede.

Zunächst: Ich möchte bestimmen, wann ich mir die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale meiner Mitmenschen ansehe. Daß jemand der Meinung ist, ich könnte allzeit in Stimmung für einen Penis sein - von mir aus auch eine Vulva, an dieser Stelle frage ich mich ernsthaft, wie wieviele Frauen auf das ungefragte Zeigen ihrer Scheide kommen - finde ich abstrus. Vielen Dank, natürlich handelt es sich eigentlich um einen höchst natürlichen Teil des Körpers, der einem im Laufe eines Lebens normalerweise mal ins Gesichtsfeld gekommen ist. Ein Penis ist ein Schlong, ein Schwanz oder Stab oder ... Kein Grund, um nervös oder gar ausfallend zu werden. Doch innerhalb unserer westlichen Kultur gilt es nun mal als pietätslos ständig nackig durch die Gegend zu traben. Mögen wir es auch schambehaftet nennen, aber normalerweise zeigen nur die wenigstens Menschen der Bevölkerung wie die Gene sie schufen. Außerdem ist es auch stark Kontext abhängig, wie ich Nacktheit deute. Wenn ich eine Frau am Strand sehe, oben ohne, gehe ich nicht davon aus, daß sie mich sexuell belästigen will.  Anders sieht die Situation aus, wenn ich jemand nachts im Park treffe  und wieder anders wenn ein/e FlitzerIn durch das Stadion sprintet, wo ungefähr gleich viele Männer und Frauen anwesend sind. Vielleicht finde ich das Verhalten unangemessen, aber so sind die heutigen Zeiten nun mal. Bei einer Duschwerbung erwarte ich auch schon einmal, daß ich einen nackten Po sehe. Ich bin also durchaus nicht gänzlich unbedarft und erwarte nicht, daß sich alle Menschen verhüllen, nur weil wir ein anderes Verständinis von Freizügigkeit haben. Trotzdem scheint mir mein Bedürfnis bestimmen zu wollen, wann ich wen nackt sehe, gerade in privaten Räumen, als nicht zu weit hergeholt. Geht damit doch auch eine gewisse Intimität einher und genau diese Intimität - meine Grenze - wurde an diesem Abend in diesem Moment ungefragt eingerissen.

Und dann besitze ich auch noch die Taktlosigkeit nicht darüber zu lachen. Vielleicht habe ich an diesem Abend den Eindruck gemacht, ich sei besonders locker unterwegs - habe ich meine Titten irgendjemanden präsentiert? Einen dummen Spruch gebracht? Nein, ich glaube nicht. Natürlich ist das nur ein Gag, aber es gibt Gründe, warum es sich hierbei um einen schlechten Gag handelt, einer der gewichtigsten habe ich bereits aufgeführt. Und hier ist noch einer: An diesem Abend bin ich das einzige Mädchen im Raum und mir wird noch einmal deutlich gemacht, daß ich anders bin. Ich zweifel stark daran, daß die Jungs diesen Spaß auch fabriziert hätten, wenn nur mein Freund im Raum gewesen wäre. Nur ihn zu schockieren wäre sicherlich langweilig gewesen. Vielleicht hätte man sich nur über Platten unterhalten, über T-Shirts, über das Leben an sich, vielleicht auch über Sex. Aber stop, da ist ein Mädchen, da muß man zwangsläufig irgendwie den kleinen Unterschied deutlich machen, muß man ihr noch mal zeigen, daß sie anders ist.  Für mich nicht nur harmloser Gag, sondern eben auch Sexismus. Verstärkt wird dieses Gefühl auch durch den Rahmen: die Situation ist intim - wir befanden uns alle kurz davor schlafen zu gehen und nicht etwa auf einer Konzertbühne, wo ein gewisses Acting-Out auch Teil einer Kunstperformance sein kann.  Ich bin das einzige Mädchen . Vielleicht gibt es Frauen, die mit einer solchen Situation weniger Probleme haben, sicherlich gibt es die, vielleicht gibt es Frauen, die sich noch bedrängter in dieser Situation gefühlt hätten, vielleicht hätte es auch Männer gegeben, die diese Situation äußerst unangenhem gefunden hätten ... Ganz besonders enttäuscht war ich von der Reaktion meines Freundes, ich solle mich doch nicht so aufregen. Es sei schließlich nichts passiert.

Nein, sicherlich, es ist überhaupt nichts passiert.

 "Die effektivste Art, einen Anspruch zurückzuweisen, ist nicht, gegen ihn zu argumentieren, sondern ihn in den Bereich des Anormalen zu verweisen. Radikalere Anpsrüche stehen immer in Gefahr, als verrückt angesehen zu werden, weil sie nicht in die vorhandene soziale Realität passen, sondern sich auf etwas anderes, etwa die persönliche Erfahrung beziehen." (Boltanski und Honneth: Soziologie der Kritik oder Kristiche Theorie? Ein Gespräch mit Robin Celikates, in: Was ist Kritik, hrsg. v. Rahel Jaeggi u. Tilo Wesche, Frankfurt a. M. 2009, S. 81-114, hier: S. 85.). Außergewöhnlichkeit des Erlebten, Überempfindlichkeit der Protagonistin/des Protagonisten und Unangemessenheit in ihrer/seiner Reaktion, das sind die Punkte, die immer dann bemüht werden, wenn eben nicht mehr der Vorfall  von zentraler Bedeutung ist, sondern die Zurechnungsfähigkeit bzw. die Glaubwürdigkeit der Protagonistin/des Protagonists in den Vordergrund gerückt wird. Boltanski nennt dies Grammatik der Normalität. Spreche ich nicht in dieser Grammatik, kann meine Erfahrung nicht Thema werden und so bleibt meine Kritik ungehört.

Dienstag, 4. Januar 2011

Geschichte unserer Liebe - Brief an D.

"Soeben bist Du zweiundachtzig geworden. Und immer noch bist Du schön, anmutig und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen, und ich liebe Dich mehr denn je. Kürzlich habe ich mich von neuem in Dich verliebt, und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere, die einzig die Wärme Deines Körpers an dem meinen aufzufüllen vermag. Nachts sehe ich manchmal die Gestalt eines Mannes, der auf einer leeren Straße in einer öden Landschaft hinter einem Leichenwagen hergeht. Dieser Mann bin ich. Und Du bist es, die der Leichenwagen wegbringt. Ich will nicht bei Deiner Einäscherung dabei sein; ich will kein Gefäß mit Deiner Asche bekommen. Ich höre die Stimme von Kathleen Ferrier, die singt: "Die Welt ist leer, ich will nicht leben mehr", und ich wache auf. Ich lausche auf Deinen Atem, meine Hand berührt Dich. Jeder von uns möchte den anderen nicht überleben müssen. Oft haben wir uns gesagt, dass wir, sollten wir wundersamerweise ein zweites Leben haben, es zusammen verbringen möchten."  - André Gorz, Brief an D. Geschichte einer Liebe,  Zürich 2007.

"Be Happy For Me" - Percy Gloom von Cathy Malkasian (Rezension)

"Navigating through a series of friendships and disasters, Percy Gloom learns to change his view of life."

Guten Morgen, 5:16, genau die richtige Zeit um entweder Ex-Freunde anzurufen und rührselig in alten Erinnerungen zu waten oder um an der Tanke zu stehen und mit Freunden Dostenstechen zu betreiben, denn "Youth is wasted on the young" und um den Vorzubeugen widmet man sich in der Regel Ritualen der längst verlorenen Teenagerzeit. Natürlich kann man auch lesen. Auch im neuen Jahr wird deswegen über Bücher gebloggt. Heute möchte ich meine Weihnachtsausbeute vorstellen - Percy Gloom von Cathy Malkasian.

Cathy Malkasian kommt eigentlich aus dem Animationsbereich, hat dort vornehmlich das Design und Storyboarding gemacht. Bekannt dürften die Rugrats und Jumanji sein. Auf der Suche nach neuen Herausforderung widmete sie sich dem Comic. Als Einflüsse nennt Cathy, die ganz großen Namen: Seth, Ware, Spiegelman, Crumb und Clowes. Außerdem noch: Japanischen Holzschnitt, flemmische Malerei und die deutschen Expressionisten. Selber scheint sie nicht viele Comics zu lesen, sondern konzentriert sich auf nicht-fiktionale Bücher als Vorbereitung auf neue Bücher. Als Kind las sie die MAD und die Peanuts. Und irgendwie erinnert Percy Gloom, der Protagonist ihrer ersten Graphic Novel, auch an Charlie Brown. Zumindest in seiner stoischen  und lakonischen Art, das Schicksal über sich hinweg fegen zu lassen.


Percy ist wegen eines Jobinterviews in eine fremde Stadt gekommen. Endlich scheint die Stelle als Warnhinweisschreiber bei Safely Now - Cautionary Writing Institute - denn nichts anderes wollte er werden seit er drei Jahre alt war - zum Greifen nahe. Doch auf dem Weg zum Jobinterview lernt er im örtlichen Muffinstore - Percy kann nämlich nichts anderes essen als Buchweizenmuffins und dazu den Saft von 30 Zitronen trinken, anderes verursacht bei ihm in einer allergischen Reaktion Alpträume - eine junge, unausgeglichene Frau kennen: Tammy. Vor allen Dingen ihr infektiöser Zeh weckt seine Aufmerksamkeit, doch Tammy will von Medizin nichts wissen als er ihr rät, diese doch mal anzuwenden und stopft ihm stattdessen in einem Wutanfall ihren Fuß in den Mund. Dummerweise scheint Percys Speichel antiseptisch zu wirken, so daß sie geheilt wird und ihn daraufhin als Mann ihrer zukünftigen Kinder verfolgt. Und so wird Percy immer mehr in das Leben der Stadtbewohner hineingezogen und wird Teil des sich dort abspielenden Dramas. Er entdeckt, was es mit der von Tammy gegründeten Yagapantha-Sekte auf sich hat, die sich mit Vorliebe der Verspeisung von Sterbenden widmet, um ihnen Unsterblichkeit zu schenken. Im übrigen erkennt man die Sterbenden daran, daß sie schrumpfen, nur ihre Ohren sind von diesem Vorgang nicht betroffen und so mag es kaum verwundern, daß Percys Segelohren ihm bald Probleme bereiten werden. 

Surreal ist die Geschichte und exzentrisch, sie atmet das Gefühl einer "Alice im Wunderland" oder eines Tim Burton-Märchens. An jeder Ecke wartet ein skurriler Einfall und trotzdem sind die Themen, die das Buch aufgreift tiefgründig. Beispielsweise das Thema der Überfürsorge: Überspitzt dargestellt in den Tests, die im Caution Writing Institute durchgeführt werden. So testet ein Mitarbeiter in sadomasochistischer Manier mögliche Gefahren durch den Abwurf einer kompletten Enzyklopädie  über seinen Kopf ("Books can  kill"). Selbiger Mitarbeiter lobt Percy auch für seine Voraussicht, daß er sich für "elastic waistband" entschieden hat, um gleich darauf fortzufahren: "But even elastic is a hazard, you know. It catches on things." Gleichzeitig sind in der Stadt Kinder auf der Suche nach einem magischen Stein, denn wenn sie diesen finden und herausziehen, fällt die Stadt ineinander und die Schule fällt aus. Eine Metapher dafür,  daß es die absolute Sicherheit nicht gibt und Sicherheit letztendlich ein fragiles Konstrukt ist. Es scheint als sei Percy Gloom auch im Schatten der Ereignisse des 9/11 entstanden. 
Ein weiteres Hauptthema ist der Umgang mit Tod. Es gibt verschiedene Konzeptionen in diesem Buch, wie mit Tod umgegangen wird. Zu einem der Zweig der männlichen Gloom-Familie, der der Bedeutungslosigkeit  des Lebens entflieht durch den "traditional Gloom deathslap". Auch Percys Freundin schien das Leben eine Farce und schloß sich einer Sekte an, deren Mitglieder Selbstmord begangen. Ganz anders Tammy, der Verlust ihrer Lieblingsziege, schreckte sie so sehr vor dem Sterben, daß sie einen obskuren Kult gründet, um so ihre geliebte Menschen aus ihrem Leben zu verbannen und ihren Tod nicht miterleben zu müssen. - Vielleicht ist das der beste Rat, den Percy bezüglich dieses Schlamassels gibt: "Papa, if you had stayed a while longer you might have found all this pointlessness to be very entertaining."

Der Zeichenstil von Cathy Malkasian ist fast ein wenig Walt Disney-Like, wenn man ihre Vorliebe für das Groteske außen vorläßt. Malkasian findet im Grotesken die größere Ausdrucksmöglichkeit, da Unregelmäßigkeiten im Äußeren die Wahrnehmung des Betrachters schärfen. Panelführung ist meistens konventionell, nur selten spielt sie mit der Form - hierzu ein kleiner Auszug aus einem Interview, das im übrigen lesenswert ist:

"AG: Another interesting device used in both of your graphic novels is the passing of time into a single panel, with the characters appearing in different positions as they walk and speak their dialogue. It’s not an uncommon device in comics, but neither is it used too often. How did you arrive at it? Is it somehow connected to your work as an animator?

CM: This has two antecedents. The first is mediaeval art, when different life events of a saint were all depicted in a single painting. The second is called the “layout” stage in animation. Layout is an intermediate stage between storyboarding and final animation. It is actually a map or plan of a character’s position in space at specific points in time (or frames of film)."


Percy Gloom ist ein guter Start ins neue Jahre und sicherlich produktiver als nächtliche Anrufe, Dosenstechen oder anderer Unsinn (was natürlich nicht heißt, daß Unsinn keine Bereicherung für das Leben ist, denn irgendwie muß man ja das sinnlose Leben ereignisreich gestalten). Erschienen ist das ganze bereits 2007 bei Fantagraphics, eine deutsche Übersetzung ist zur Zeit nicht erhältlich. 2008 erhielt Malkasian für Percy Gloom den Eisner Award in der Sparte "Most promising newcomer" und war ebenfalls nominiert für die beste Graphic Novel. Ich gedenke mir nun auch noch ihren nächsten Comic anzuschaffen, der ebenfalls restlos gute Kritiken bekam: Temperance.

http://www.percygloom.com/
und auch noch bei Facebook: Percy bei FB


"Perhaps if we change our wording just a bit..."Caution" into "Friendly advice"...then the customers will read our warnings again." - Percy Gloom.


In diesem Sinne: Books not Sex!







Dienstag, 14. Dezember 2010

Rekonvaleszenz - Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht


Prolog
Ich bin 13 Jahre alt. Ich habe eine beste Freundin. Wir teilen alles. Ich gebe ihr ein Büchlein, in dem meine Gefühlswelt  von mir seziert wurde. Ich entsinne mich, daß ich eine Zeichnung eingefügt hatte: ich hinter Gittern.
Ich bin vielleicht 15 Jahre. Ich wiege um die 80kg bei einer Grüße von 1,70 m. Meine Freunde und ich versuchen durch einen vollen Zug zu gelangen. Es ist Karneval. Beim Versuch an einer Gruppe Jugendlicher entlang zu kommen, werde ich als „fettes Schwein“ bezeichnet.
Ich bin ca. 18 Jahre alt. Seit einem Jahr verletzte ich mich wieder selber.
Ich bin immer noch 18 Jahre alt. Meine Mutter hat im betrunkenen Kopf versucht, mich zu würgen und dabei gesagt, daß sie mich umbringen würde.
Ich bin 23 Jahre alt und habe meinen ersten Freund. Nachdem wir miteinander das erste Mal geschlafen haben, habe ich Schluß gemacht, weil ich ihn liebe.
Ich bin 24 Jahre alt, ich mache eine Therapie. Ich bin in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Ich bin 25 Jahre alt. Mein Leben entgleitet mir. Ich breche Kontakte zu alten Freunden ohne Begründung ab. Mit meinen Eltern kommuniziere ich über Briefe. Weihnachten verbringe ich allein und ich bin das erste Mal glücklich.
Ich bin 26 Jahre alt. Ich versuche mir mit 90 Tabletten das Leben zu nehmen. Nach dem gescheiterten Suizidversuch, höre ich mit dem Selbstverletzen auf.

Rekonvaleszenz – Vielleicht wird es gut, vielleicht wird es schlecht
Auch Arthur Schoppenhauer war ein Pessimist. Für ihn war Leben eine „mißliche Sache“, doch gerade aus diesem Grunde erschien es ihm ratsam darüber nachzudenken. In meiner Jugend blieb mir Schoppenhauer erspart. Leben war eine Selbstverständlichkeit. Selbst als die Pubertät es nicht sonderlich gut mit mir meinte. Der größte Feind neben der Gesellschaft und den eigenen Eltern war man selber. Pickel und Überfettung lieferten im Kampf gegen mich wertvolle Munition, um das Selbstwertgefühl für unbestimmte Zeit in Schutt und Asche zu legen. Ich fing an Punkmusik zu hören. Oder, so rede ich es mir heute zumindest gerne ein, hörte diese ausschließlich.  Manchmal war ich nicht ganz sicher, ob nicht die Texte, die ich laß, die ich abschrieb und mitsang nicht Schuld sind, daß ich mein Leben aus der pessimistischen Perspektive betrachtete. Nick Hornby sollte später  in seinem Debut „High Fidelity“ den Erzähler über jenen unsäglichen Einfluß, den Popmusik auf uns haben kann, spekulieren lassen. Aus diesem Grund kann ich sagen, daß ich froh bin, daß ich erst so spät auf Joy Division gestoßen bin – denn „i’ve got the spirit but lose the feeling“. Doch selbst wenn ich damals immer mal wieder über den Suizid phantasierte, zweifelte ich nicht daran, daß ich lebte. Was nicht heißen soll, daß ich heute daran zweifeln würde (nur manchmal verwerfe ich schnell den rettenden Gedanken, daß Leben einen Sinn hat, auf den ich mich mit vorgetäuschtem Optimismus stürze und öffne so der Panik Hirn und Herz). Damals war der Tod nur ein reizvolles Ablenken von der erdrückenden Last des Tages.
Ich habe mein Gedächtnis  extern ausgelagert. Mit Füller und Papier gegen das Vergessen.   Der erste Kuß, notiert. Festgehalten als betrunkene Hymne auf die Jugend. Das erste Mal Sex, ebenfalls verewigt als schamvolles Debakel, nicht nur auf dem Papier. Während ich also durch meine gesammelten Erinnerungen blättere, sehe ich deutlich, worauf das alles hinaus laufen mußte. Doch was ist schon deutlich, wenn man im Jetzt lebt? Sinn entsteht erst, wenn die Vergangenheit reflektiert wird, wenn Verkettungen von Zufälligkeiten kausale Grausamkeit unterstellt wird. Doch es mag verwundern, die Tage, an dem ich versuchte, mich zu suizidieren (von lateinisch sui caedere) und mit der mißlungenen Konsequenz leben mußte, wurden nicht festgehalten. Als ob ich vergessen wollte.  Von dem Tag selber ist mir einzig eine Notiz erhalten geblieben.  Und höchst wahrscheinlich der ein oder andere Aktenvermerk.
Wittgenstein hatte wohl nicht unrecht, wenn er schrieb, daß die Welt der Glücklichen eine andere sei, als die der Unglücklichen. Vergleichbar mit Tolstois berühmten Satz: „Alle glücklichen Familien  ähneln einander, jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.“  Meine eigene Art unglücklich zu sein.
Der Moment des Absprungs, so bezeichnet ihn Paul Améry,  unterliegt einer eigenen Logik, die Lebende nicht nachvollziehen können.  Und das obwohl der Tod jeden Tag in uns wächst (übrigens auch Améry, der nicht unrecht hat, denn wir müssen damit leben, daß wir sterben werden. Hier mag Epikurs Rat zwar nützlich sein, daß  der Tod uns nichts angeht, da solange wir sind, er nicht ist und wenn er uns dann doch ereilen sollte, wir nicht mehr sind. Aber ihm unterläuft der Fehler, daß der Mensch ein Wesen ist, das erinnert und so erinnern wir uns an den Tod unserer Freunde. Fun never ends until you bury a friend. Die Lücke, die jemand läßt, wird gefüllt mit der eigenen Hilflosigkeit, aber auch mit dem temporären Vergessen. Denn nur durch das temporäre Vergessen können wir Leben. Mit den Toten kann man hingegen nicht leben.) Mein Moment des Absprungs war eine Nacht, in der ich ziellos meine Tabletten in mich hineinstopfte und darauf hoffte, daß ich sanft entschlafen würde. Es gab keinen Anlaß, der Tag war so schrecklich oder so schön, wie jeder andere zuvor. Ich war es nur satt. Ich wollte heraus aus diesem Einerlei. Ich wollte nicht allein sein.
Allein.
 Eventuell kennt jemand Paul Coelho, seines Zeichens schrecklichster Bestseller-Autor. Doch die Erfahrung seiner Roman-Figur Veronika kann ich nur bestätigen, der Versuch sich mit Tabletten zu töten, ist unangenehm. Man stirbt nicht auf die sanfte Art und das Fegefeuer, je nach Religion, wartet auch nicht auf einen.  Der Körper verkrampft sich, das Herz beginnt zu rasen, man kotzt und kotzt, bricht zusammen und wird gefunden. Eventuell in dieser Reihenfolge.  Kommt in ein Krankenhaus und wartet darauf, daß man stirbt.  Aber man will jetzt doch nicht mehr. Zu anstrengend. Zu anders, als man es sich vorgestellt hat. Man will nicht einschlafen, denn wer weiß, vielleicht wacht man nicht mehr auf? Atmet man noch? Ist da nicht der weiße Tunnel? Sind dort nicht die Eltern, die einen anschreien, warum machst du das? Lebst du noch? Stirbst du schon? Du hast doch nichts gesehen, du bist doch viel zu jung. Als ob mit dem überstandenen Suizidversuch die Chance auf ein besseres Leben winkt, mir alle Türen offen stehen würden. Aber zumindest die Chance, worauf auch immer. Eben die Schönheit der Chance.
Natürlich ist dies keine Geschichte ohne Happy End, denn ich sitze hier und schreibe das auf, bin also nicht in dieser Nacht gestorben. Ich weiß nicht, wie nah ich am Tod dran war. Näher als gewöhnlich? Vielleicht.  Ich habe eine Nacht auf einer Intensivstation verbracht. Den folgenden Tag mußte ich entgiften. Ich habe Stimmen gehört, die nicht da waren.. Ich habe Dinge gesehen, die nicht real waren. Meine Phantasien bewegten sich irgendwo zwischen „Fear and Loathing in Las Vegas“, „Einer flog über das Kucksnest“ und „Twilight Zone“.  Das Kreuz auf meinem Zimmer war für mich ein sicheres Zeichen dafür, daß ich auf der Sterbestation lag.   Das Nachthemd, das ich trug, glich in seiner Übergröße einem Totenhemd. Ich schrie die Pflegerin an: „Hier sind überall alte Menschen. Ich werde sterben.“ Wahnvorstellungen verleiten einen zu irrationalem Handeln. Am nächsten Tag wurde ich in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Eine Nacht habe ich im Beobachtungsraum gelegen. Ich konnte nicht schlafen. Eine Mitpatienten sagte zu mir: „Zeig Dich kooperativ, sonst haben die dich gleich ganz genau im Auge.“   Ich habe mich schrecklich gefühlt, aber ich wußte, daß dieser Tiefpunkt auch ein Wendepunkt sein würde.
 Ich glaube, ich weiß,  was es bedeutet, daß man stirbt. Und ich habe Angst vorm Sterben. Nicht vor dem Tod, denn ich bin überzeugter Atheist. Vor nichts braucht man sich also nicht zu fürchten. Aber mit dem Sterben ist es anders. Manchmal schrecke ich nachts auf und japse nach Luft, ein immer wieder kehrender Alptraum, ich hätte vergessen zu atmen, die Atmung wäre langsamer geworden und ich würde gleich sterben. Deswegen rasch eilige Atemzüge, wer nicht schläft, der kann ja auch bekanntlich nicht sterben (oder war es lieben?), nicht wahr Schlafes Bruder? Der Herzschlag wird gefühlt, der Puls rast. Das Licht wird angemacht und man lebt durch die Nacht. Schlafstörungen als Folge eines mißlungenen Ausstiegsversuchs.
Ich versuche darüber zu schreiben, aus welchen Gründen ich 90 Tabletten nahm, an einem Abend, wie jedem anderen in deinem und meinem Leben.  Ich könnte über biologische Faktoren spekulieren, die mich anfällig für psychische Krankheiten machen. Ich könnte auf die mißratene Kindheit verweisen, all die kleinen Episoden, die sich aneinander reihen und mich zu dem machen, was ich bin.  Doch die Sprache bleibt stumm. Sie transportiert nicht, was ich an diesem Abend  fühlte. Was ich heute noch fühle. Sie beschreibt zwar, bleibt aber trotzdem leer. Sie verschleiert das Motiv, obwohl es so scheint, als ob sie dem Betrachter ein klares Bild liefert. Sie ist ein trompe l’oiel.  Die Kunst wird so zur einzigen Form, sich über den Tod zu verständigen. Denn die Kunst schafft, was die Funktionalität der Sprache verhindert. Sie berührt unmittelbar.

Dying Is an art, like everything else,
 I do it exceptionally well. I do it so it feels like hell. I do it so it feels real
Sylvia Plath

Epilog
Ich bin 30 Jahre alt. Ich bin am Leben gescheitert. Ich möchte etwas über Freundschaft schreiben. Darüber, wie wertvoll, wie einzigartig, wie verletzend, wie belastend Freundschaften sein können. Doch was ich feststelle: daß ich mit mir selber immer noch keine Freundschaft geschlossen habe und mein Selbstbild ständig zwischen Größenwahn und Selbstverlust oszilliert. Ich bin nicht zufrieden, ‚angekommen‘, sondern immer noch auf der Suche. Wenn ich akzeptieren könnte, wer ich bin, wenn ich mich selber mögen könnte, wenn ich mit mir befreundet sein könnte…Ich schaue mich im Spiegel an und erkenne die Person nicht, die mir entgegen blickt. Soll ich das sein?  Diese Wangenknochen, dieser leicht dümmliche Ausdruck.  Der hervorstehende Mund und die ersten Fältchen. Ich möchte dieser Person die Haut abreißen, sie entkleiden, enttarnen. Ich möchte ihr ins Gesicht schlagen, möchte sie bluten sehen, denn sie ist nicht ich. Diese Person hat sich meiner bemächtigt, vor langer Zeit und führt ein parasitäres Eigenleben in meinem Körper. Sie  kann nicht ich sein. Merkt das denn keiner?  Und doch, das bin ich. Zerrissen. Verletzlich. Hilfsbedürftig. Einsam. Immer im Konflikt mit mir selbst, mit meinem Bewußtsein, meinem Ich-Sein.  Ich gebrauche Menschen, um selber etwas fühlen zu können. Sie sind  ein Spiegel, der  reflektiert, wer ich sein könnte. Ich bin ein schlechter Mensch.  Ich bin ein Pessimist. Und damit bin ich in keiner schlechten Gesellschaft.  


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Dies ist eine Neufassung eines Textes, der dieses Jahr im HRVST erschien und im nächsten Jahr noch einmal in einem anderen Zusammenhang erscheinen wird.  Ich möchte mich noch einmal bei Hendrik und Sebastian bedanken, daß sie meinen Text in ihrem wundervollen Buch aufgenommen haben. Das Konzept hinter HRVST ist so simpel, wie wirkungsvoll: ein Thema, dass eine Reihe von unterschiedlichen Menschen eint, die versuchen sich in ihrer Kunst auszudrücken. Demnächst wird der zweite Band erschienen und ich bin sehr gespannt, was die unterschiedlichen Menschen zum Thema "Jugend" beitragen werden. Der erste Band erschien zum Thema "Death", das mich seit geraumer Zeit umtreibt. Auch heute. Gestern ist ein geliebter Mensch von mir gegangen. Ich tue mich schwer mit Wörtern wie "Liebe", wenn ich sie im familiären Kontext benutzen soll. Aber ich erinnere mich so lebhaft an die unterschiedlichsten Episoden, in denen sich ihr Leben und mein Leben überschnitten, kreuzten und ineinander verwebten und wünschte, ich hätte in den letzten Minuten da sein können und ihre Hand halten können und ihr noch einmal sagen können, daß ich sie liebe.

Montag, 13. Dezember 2010

Insomnia Pt. 1 ( " 9,10... never sleep again " )

Insomnia Pt 1

I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left

Feeding memories from 2.54 am to now:
The evening we fucked for the first time.
You were my first man and i was your sixth girl.
Or was i the eigth?

TV news flickered in the back.
Shadows and Bodies melting together
and by god i loved you (whatever that means)
and by god i adored you

You fell asleep before me,
and
I turned myself from the left to the right
to the left to the right
walked from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left


Next morning - before you left me - we fucked again
Through 4 and a half Johnny Cash songs.

You closed the door behind US
as Johny sang his 10th song (Country Trash)
You on the outside,
I lost
with Cash
at the insight.

Through all those episodes of craziness
- loving you for being kind to me
hating you for being nice to me-
what i remember best is the
laugh
            we shared
                                during our fuck .

I'm sorry to say: It wasn't funny at all
- laughter of deperates saying
we lost it all.

And
I turn myself from the left to the right
to the left to the right
walk from the bed to the desk
to the bed to the desk
and then back to bed and again
to the right to the left

Freitag, 5. November 2010

But I don't want to cope - Swallow me whole von Nate Powell (Rezension)

Key Words: Graphic Novels/Family Drama/Schizophrenia-Hallucination

Ich wollte nie Fanpost schreiben. Niemals.

Lieber Nate Powell,

ich las neulich Dein Buch "Swallow me whole" zum zweiten Mal. Und obwohl es kein schönes Leseerlebnis war, keines bei dem man das Buch schließt und sich im Anschluß entspannt mit anderen Leuten trifft, um mit ihnen gemütlich ein Kaffee zu trinken, das Buch auf dem Tisch liegen bleibt und irgendwann in den Bücherschrank einsortiert wird, habe ich es genossen. Denn es hat mich berührt, wie es nur wenige Bücher schaffen. Wenn ich über das Buch spreche, fällt mir spontan das Adjektiv "verstörend" ein. Eine verstörende Lektüre in Bild- und Wortsprache. Eine irritierende dazu. Ich schlage das Buch zu und möchte mit jemanden darüber reden, möchte wissen, was das Gegenüber dazu zu sagen hätte, wie sie das Buch empfunden hat, was er dort gelesen hat. Es ist also auch eine erregende, emotional aufwühlende Lektüre, denn im Anschluß möchte man diese Gespräche führen. Vielleicht nicht sofort, denn erst einmal muß man verdauen, was man gelesen hat, muß seine eigenen Gedanken sortieren und aus der Welt der beiden Stiefgeschwister Ruth und Perry wieder herausfinden. Zu viele Themen streift das Buch, über die man reden könnte.

Zum einen Familienleben. Die kranke Oma, die im Haushalt aufgenommen wird und auf ihren Tod wartet. Belastet das die Kinder nicht? Wie gehen Ruth und Perry mit der ständigen Konfrontation mit der Sterblichkeit um? Gleichzeitig aber auch fehlende Kommunikation zwischen Eltern und den aufwachsenden Teenagern, verdichtet und konzentriet stellt sich die Problematik in einem einzigen Satz dar: "I don't even know Ruthy." Es ist normal, daß Teenager nicht mehr alles mit ihren Eltern teilen, ihre eigene Persönlichkeit in Abgrenzung zu ihren Eltern suchen. Doch die völlige Sprachlosigkeit hat etwas hilfloses. Auch das Ende zeigt, wie wenig die Eltern Ruth mit ihrer Krankheit eigentlich verstanden haben.

Dann das große andere Thema des Comics: Schizophrenie. Hier zeigen sich auch ganz unterschiedliche Aspekte. Beispielsweise die Form der Diagnose bei Ruth bzw. Perry.


Sowohl Perry als auch Ruth leiden an Halluzinationen in Folge ihrer Erkrankung. Bei Perry äußern sich diese so, daß ein Radiergummi in Form eines Zauberers ihm befiehlt zu zeichnen. Er ist kreativ und er schafft einen Output, der gesellschaftlich anerkannt ist. So kommt es, daß der Arzt seine Halluzinationen relativ lapidar, aber verständnisvoll als Folge von Streß diagnostiziert und keine weiteren Interventionen vorsieht. Während Ruthy, die aggressiv reagiert, Insekten sieht und mit diesen auch kommuniziert, sofort die ganze Bandbreite an möglichen Therapievorschlägen aufgebrummt bekommt, u.a.  diverse Psychopharmaka. Und wieder wird in der Familie nicht über die Diagnose geredet. Das Thema wird eigenartig totgeschwiegen. Einzig die kranke Großmutter scheint zu wissen, was passiert. Untereinander reden Ruth und Perry wohl über ihre Krankheit und bilden zunächst auch eine Einheit. Doch im fortschreitenden Verlauf der Geschichte zerbricht dieses Band und beide gehen unterschiedlich mit ihrer Krankheit um.

Perry gliedert sich ein und findet sich zu Recht, findet Halt bei seiner Freundin. Auch Ruth findet Halt bei ihrem Freund, aber und hier ist wohl der entscheidende Unterschied: "I don't won't to cope!". Nein, sie möchte eben nicht reinpassen in ein gesellschaftliches Korsett. Bleibt lieber Außenseiterin. Die Frage, die sich hier stellt: Wie geht man mit Außenseitern in der Gesellschaft um? Toleriert man sie mit ihren Eigenheiten? Wenn Ruth nicht unter ihren Halluzinationen leidet, ist es dann nicht egal? Sind Psychopharmaka nicht eigentlich ein Mittel zur gesellschaftlichen Gleichschaltung, die dem Anderen helfen, sich nicht mit den Folgen der Halluzination auseinanderzusetzen? Denn eine weitere Episode zeigt deutlich, daß die Figur Ruth trotz Halluzinationen und Krankheit, ernst zu nehmen ist. Während einer Unterrichtsstunde erzählt Ruths Lehrerin einen rassistischen Witz und Ruth alleine begehrt dagegen auf. Allerdings endet ihr Aufbegehren darin, daß sie der unverbesserlichen Lehrerin ein Buch an den Kopf wirft, was für sie zur Folge hat, daß sie ihr nahegelegt wird, die Schule zu wechseln, auf eine Schule "für Andersbegabte".- Auch hier schimmert ein Thema durch, daß immer noch nicht an Relevanz verloren hat: die Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen.

Dieses Buch kann für mich auch nur als Graphic Novel funktionieren. Text, Thematik und Bilder bilden eine Symbiose und verstärken den Eindruck, den das Buch hinterläßt. Kontrastreiche Schwarz/Weiß Bilder, oftmals ein hektischer Strich, erzeugen das Gefühl von Visionen. Manchmal ist das Lettering klein und krakelig, kaum entzifferbar, folgt man Ruth durch die Schule, hat man das Gefühl, sie befindet sich in einer Blase und der alltägliche Schullärm tobt um sie herum, aber dringt nicht zu ihr durch. Abgeschnitte Sprechblasen im Panel stützen diesen Eindruck. Manchmal ist es schwierig, sofort Sinn in die Bilder zu bekommen, aber auch hier wird nur die Thematik des Comics auf visueller Ebene verstärkt.

Das Ende des Buches kommt ohne große Worte aus und nimmt noch einmal Bezug zu dem Titel "Swallow me whole" und zeigt in deutlichen Bildern, was damit gemeint sein könnte. Ich schreibe "könnte", denn sicher bin ich mir nicht, was eigentlich am Ende passiert. Die Unsicherheit bleibt und auch hier wieder der Zirkelschluß zu einem psychisch kranken Menschen: Denn manchmal ist für diesen die Realität ein Vexierbild, das mit jedem neuen Blickwinkel, Deutung verändert und somit immer in Bewegung bleibt und sich nicht zu einem kohärenten, sinnstiftenden Ganzen zusammenfügt.

Nate, ich danke Dir für diese Buch.


Nate Powell erhielt 2009 den Eisner Award für Swallow me whole in der Kategorie "Best Graphic Novel". Das Buch erscheint bei Top Shelf Productions. Er selbst fast sein Schaffen treffend zusammen: "I'm Nate Powell. I make comics, illustrations, music and biscuits." Er betreibt das DIY-Label Harlan Records. Ich kannte Nate Powell von seiner Zeit bei Sophie Nun Squad. Er hat aber auch noch in diversen anderen Punkbands gespielt.

Lesenswert ist dieses vierteilige Interview, in dem Nate über Entstehungsgeschichte, Deutungsmöglichkeiten und die graphische Umsetzung von Swallow me whole spricht.

In diesem Sinne: Books not Sex!