Donnerstag, 6. Januar 2011

Nächtliche Anekdote - Boltanski und Hardcore

Die Band war befreundet mit einer Freundin. Sie waren verdammt jung, naja, nicht zwölf, sondern in der Spätadolezsens und es war ihr letzter Abend in Deutschland. Die Band, meine Freundin, ein Freund und ich waren noch unterwegs, haben gelacht und vielleicht haben die Jungs auch noch was getrunken. Oder waren sie straight edge? Wir fuhren nach Hause und die Stimmung war ganz gut. Ich schlief mit dem Freund in dem Bett der Freundin und die Bandmitglieder verteilten sich an strategisch gemütlichen Orten. Tatsächlich kann ich mich noch nicht einmal mehr an den Namen der Band erinnern, es ist egal. 

 "Kat- Look over here". 

Natürlich folgte ich der Aufforderung und ein junger Mann stand dort, mit runtergelassener Hose. Sein Geschlechtsteil entblößt und ich sagte nur: "You have a short one". Lacher auf meiner Seite. Glück gehabt. Ich bin schlagfertig genug und keine Spaßbremse. Trotzdem habe ich mich in dem Moment schrecklich aufgeregt und mein Bettgenosse hat noch nicht einmal verstanden, worum es mir ging. In Erinnerung blieb mir nur, daß mir gesagt wurde, daß das alles nicht so schlimm sei. 

Nein, natürlich ist das nicht schlimm. Es war ja alles nur ein Spaß. Sie verstehen doch Spaß?! -  Ich verstehe augenscheinlich wenig Spaß. Aber so sind sie die Feministinen. Nie lassen sie einen ausreden und immer sind sie gegen Spaß. Wahrscheinlich möchten sie einem auch noch den Mund verbieten und fühlen sich ständig benachteiligt und mockieren sich über feine Unterschiede.

Zunächst: Ich möchte bestimmen, wann ich mir die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale meiner Mitmenschen ansehe. Daß jemand der Meinung ist, ich könnte allzeit in Stimmung für einen Penis sein - von mir aus auch eine Vulva, an dieser Stelle frage ich mich ernsthaft, wie wieviele Frauen auf das ungefragte Zeigen ihrer Scheide kommen - finde ich abstrus. Vielen Dank, natürlich handelt es sich eigentlich um einen höchst natürlichen Teil des Körpers, der einem im Laufe eines Lebens normalerweise mal ins Gesichtsfeld gekommen ist. Ein Penis ist ein Schlong, ein Schwanz oder Stab oder ... Kein Grund, um nervös oder gar ausfallend zu werden. Doch innerhalb unserer westlichen Kultur gilt es nun mal als pietätslos ständig nackig durch die Gegend zu traben. Mögen wir es auch schambehaftet nennen, aber normalerweise zeigen nur die wenigstens Menschen der Bevölkerung wie die Gene sie schufen. Außerdem ist es auch stark Kontext abhängig, wie ich Nacktheit deute. Wenn ich eine Frau am Strand sehe, oben ohne, gehe ich nicht davon aus, daß sie mich sexuell belästigen will.  Anders sieht die Situation aus, wenn ich jemand nachts im Park treffe  und wieder anders wenn ein/e FlitzerIn durch das Stadion sprintet, wo ungefähr gleich viele Männer und Frauen anwesend sind. Vielleicht finde ich das Verhalten unangemessen, aber so sind die heutigen Zeiten nun mal. Bei einer Duschwerbung erwarte ich auch schon einmal, daß ich einen nackten Po sehe. Ich bin also durchaus nicht gänzlich unbedarft und erwarte nicht, daß sich alle Menschen verhüllen, nur weil wir ein anderes Verständinis von Freizügigkeit haben. Trotzdem scheint mir mein Bedürfnis bestimmen zu wollen, wann ich wen nackt sehe, gerade in privaten Räumen, als nicht zu weit hergeholt. Geht damit doch auch eine gewisse Intimität einher und genau diese Intimität - meine Grenze - wurde an diesem Abend in diesem Moment ungefragt eingerissen.

Und dann besitze ich auch noch die Taktlosigkeit nicht darüber zu lachen. Vielleicht habe ich an diesem Abend den Eindruck gemacht, ich sei besonders locker unterwegs - habe ich meine Titten irgendjemanden präsentiert? Einen dummen Spruch gebracht? Nein, ich glaube nicht. Natürlich ist das nur ein Gag, aber es gibt Gründe, warum es sich hierbei um einen schlechten Gag handelt, einer der gewichtigsten habe ich bereits aufgeführt. Und hier ist noch einer: An diesem Abend bin ich das einzige Mädchen im Raum und mir wird noch einmal deutlich gemacht, daß ich anders bin. Ich zweifel stark daran, daß die Jungs diesen Spaß auch fabriziert hätten, wenn nur mein Freund im Raum gewesen wäre. Nur ihn zu schockieren wäre sicherlich langweilig gewesen. Vielleicht hätte man sich nur über Platten unterhalten, über T-Shirts, über das Leben an sich, vielleicht auch über Sex. Aber stop, da ist ein Mädchen, da muß man zwangsläufig irgendwie den kleinen Unterschied deutlich machen, muß man ihr noch mal zeigen, daß sie anders ist.  Für mich nicht nur harmloser Gag, sondern eben auch Sexismus. Verstärkt wird dieses Gefühl auch durch den Rahmen: die Situation ist intim - wir befanden uns alle kurz davor schlafen zu gehen und nicht etwa auf einer Konzertbühne, wo ein gewisses Acting-Out auch Teil einer Kunstperformance sein kann.  Ich bin das einzige Mädchen . Vielleicht gibt es Frauen, die mit einer solchen Situation weniger Probleme haben, sicherlich gibt es die, vielleicht gibt es Frauen, die sich noch bedrängter in dieser Situation gefühlt hätten, vielleicht hätte es auch Männer gegeben, die diese Situation äußerst unangenhem gefunden hätten ... Ganz besonders enttäuscht war ich von der Reaktion meines Freundes, ich solle mich doch nicht so aufregen. Es sei schließlich nichts passiert.

Nein, sicherlich, es ist überhaupt nichts passiert.

 "Die effektivste Art, einen Anspruch zurückzuweisen, ist nicht, gegen ihn zu argumentieren, sondern ihn in den Bereich des Anormalen zu verweisen. Radikalere Anpsrüche stehen immer in Gefahr, als verrückt angesehen zu werden, weil sie nicht in die vorhandene soziale Realität passen, sondern sich auf etwas anderes, etwa die persönliche Erfahrung beziehen." (Boltanski und Honneth: Soziologie der Kritik oder Kristiche Theorie? Ein Gespräch mit Robin Celikates, in: Was ist Kritik, hrsg. v. Rahel Jaeggi u. Tilo Wesche, Frankfurt a. M. 2009, S. 81-114, hier: S. 85.). Außergewöhnlichkeit des Erlebten, Überempfindlichkeit der Protagonistin/des Protagonisten und Unangemessenheit in ihrer/seiner Reaktion, das sind die Punkte, die immer dann bemüht werden, wenn eben nicht mehr der Vorfall  von zentraler Bedeutung ist, sondern die Zurechnungsfähigkeit bzw. die Glaubwürdigkeit der Protagonistin/des Protagonists in den Vordergrund gerückt wird. Boltanski nennt dies Grammatik der Normalität. Spreche ich nicht in dieser Grammatik, kann meine Erfahrung nicht Thema werden und so bleibt meine Kritik ungehört.

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