Guten Morgen, 5:16, genau die richtige Zeit um entweder Ex-Freunde anzurufen und rührselig in alten Erinnerungen zu waten oder um an der Tanke zu stehen und mit Freunden Dostenstechen zu betreiben, denn "Youth is wasted on the young" und um den Vorzubeugen widmet man sich in der Regel Ritualen der längst verlorenen Teenagerzeit. Natürlich kann man auch lesen. Auch im neuen Jahr wird deswegen über Bücher gebloggt. Heute möchte ich meine Weihnachtsausbeute vorstellen - Percy Gloom von Cathy Malkasian.
Cathy Malkasian kommt eigentlich aus dem Animationsbereich, hat dort vornehmlich das Design und Storyboarding gemacht. Bekannt dürften die Rugrats und Jumanji sein. Auf der Suche nach neuen Herausforderung widmete sie sich dem Comic. Als Einflüsse nennt Cathy, die ganz großen Namen: Seth, Ware, Spiegelman, Crumb und Clowes. Außerdem noch: Japanischen Holzschnitt, flemmische Malerei und die deutschen Expressionisten. Selber scheint sie nicht viele Comics zu lesen, sondern konzentriert sich auf nicht-fiktionale Bücher als Vorbereitung auf neue Bücher. Als Kind las sie die MAD und die Peanuts. Und irgendwie erinnert Percy Gloom, der Protagonist ihrer ersten Graphic Novel, auch an Charlie Brown. Zumindest in seiner stoischen und lakonischen Art, das Schicksal über sich hinweg fegen zu lassen.
Percy ist wegen eines Jobinterviews in eine fremde Stadt gekommen. Endlich scheint die Stelle als Warnhinweisschreiber bei Safely Now - Cautionary Writing Institute - denn nichts anderes wollte er werden seit er drei Jahre alt war - zum Greifen nahe. Doch auf dem Weg zum Jobinterview lernt er im örtlichen Muffinstore - Percy kann nämlich nichts anderes essen als Buchweizenmuffins und dazu den Saft von 30 Zitronen trinken, anderes verursacht bei ihm in einer allergischen Reaktion Alpträume - eine junge, unausgeglichene Frau kennen: Tammy. Vor allen Dingen ihr infektiöser Zeh weckt seine Aufmerksamkeit, doch Tammy will von Medizin nichts wissen als er ihr rät, diese doch mal anzuwenden und stopft ihm stattdessen in einem Wutanfall ihren Fuß in den Mund. Dummerweise scheint Percys Speichel antiseptisch zu wirken, so daß sie geheilt wird und ihn daraufhin als Mann ihrer zukünftigen Kinder verfolgt. Und so wird Percy immer mehr in das Leben der Stadtbewohner hineingezogen und wird Teil des sich dort abspielenden Dramas. Er entdeckt, was es mit der von Tammy gegründeten Yagapantha-Sekte auf sich hat, die sich mit Vorliebe der Verspeisung von Sterbenden widmet, um ihnen Unsterblichkeit zu schenken. Im übrigen erkennt man die Sterbenden daran, daß sie schrumpfen, nur ihre Ohren sind von diesem Vorgang nicht betroffen und so mag es kaum verwundern, daß Percys Segelohren ihm bald Probleme bereiten werden.
Surreal ist die Geschichte und exzentrisch, sie atmet das Gefühl einer "Alice im Wunderland" oder eines Tim Burton-Märchens. An jeder Ecke wartet ein skurriler Einfall und trotzdem sind die Themen, die das Buch aufgreift tiefgründig. Beispielsweise das Thema der Überfürsorge: Überspitzt dargestellt in den Tests, die im Caution Writing Institute durchgeführt werden. So testet ein Mitarbeiter in sadomasochistischer Manier mögliche Gefahren durch den Abwurf einer kompletten Enzyklopädie über seinen Kopf ("Books can kill"). Selbiger Mitarbeiter lobt Percy auch für seine Voraussicht, daß er sich für "elastic waistband" entschieden hat, um gleich darauf fortzufahren: "But even elastic is a hazard, you know. It catches on things." Gleichzeitig sind in der Stadt Kinder auf der Suche nach einem magischen Stein, denn wenn sie diesen finden und herausziehen, fällt die Stadt ineinander und die Schule fällt aus. Eine Metapher dafür, daß es die absolute Sicherheit nicht gibt und Sicherheit letztendlich ein fragiles Konstrukt ist. Es scheint als sei Percy Gloom auch im Schatten der Ereignisse des 9/11 entstanden.
Ein weiteres Hauptthema ist der Umgang mit Tod. Es gibt verschiedene Konzeptionen in diesem Buch, wie mit Tod umgegangen wird. Zu einem der Zweig der männlichen Gloom-Familie, der der Bedeutungslosigkeit des Lebens entflieht durch den "traditional Gloom deathslap". Auch Percys Freundin schien das Leben eine Farce und schloß sich einer Sekte an, deren Mitglieder Selbstmord begangen. Ganz anders Tammy, der Verlust ihrer Lieblingsziege, schreckte sie so sehr vor dem Sterben, daß sie einen obskuren Kult gründet, um so ihre geliebte Menschen aus ihrem Leben zu verbannen und ihren Tod nicht miterleben zu müssen. - Vielleicht ist das der beste Rat, den Percy bezüglich dieses Schlamassels gibt: "Papa, if you had stayed a while longer you might have found all this pointlessness to be very entertaining."
Der Zeichenstil von Cathy Malkasian ist fast ein wenig Walt Disney-Like, wenn man ihre Vorliebe für das Groteske außen vorläßt. Malkasian findet im Grotesken die größere Ausdrucksmöglichkeit, da Unregelmäßigkeiten im Äußeren die Wahrnehmung des Betrachters schärfen. Panelführung ist meistens konventionell, nur selten spielt sie mit der Form - hierzu ein kleiner Auszug aus einem Interview, das im übrigen lesenswert ist:
CM: This has two antecedents. The first is mediaeval art, when different life events of a saint were all depicted in a single painting. The second is called the “layout” stage in animation. Layout is an intermediate stage between storyboarding and final animation. It is actually a map or plan of a character’s position in space at specific points in time (or frames of film)."
Percy Gloom ist ein guter Start ins neue Jahre und sicherlich produktiver als nächtliche Anrufe, Dosenstechen oder anderer Unsinn (was natürlich nicht heißt, daß Unsinn keine Bereicherung für das Leben ist, denn irgendwie muß man ja das sinnlose Leben ereignisreich gestalten). Erschienen ist das ganze bereits 2007 bei Fantagraphics, eine deutsche Übersetzung ist zur Zeit nicht erhältlich. 2008 erhielt Malkasian für Percy Gloom den Eisner Award in der Sparte "Most promising newcomer" und war ebenfalls nominiert für die beste Graphic Novel. Ich gedenke mir nun auch noch ihren nächsten Comic anzuschaffen, der ebenfalls restlos gute Kritiken bekam: Temperance.
http://www.percygloom.com/
und auch noch bei Facebook: Percy bei FB
http://www.percygloom.com/
und auch noch bei Facebook: Percy bei FB
"Perhaps if we change our wording just a bit..."Caution" into "Friendly advice"...then the customers will read our warnings again." - Percy Gloom.
In diesem Sinne: Books not Sex!
Uiii...das hört sich gut an. Gut, dass ich bald Geburtstag habe. Nach Blankets könnte das doch ein guter Anschluss sein?!
AntwortenLöschenabsolut, wobei ich mir auch schwer tue: ich finde ja die mumins und "swallow me whole" auch ziemlich großartig. lies erstmal blankets durch und sag mir, wie du es findest. ich liebe es.
AntwortenLöschen